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Die Schornsteinfegerin bringt Glück ins Haus

Ausbildung Für Jessica Gräber ist klar: „Einen schöneren Job kann man nicht haben.“ Die junge Frau fällt auf in dem noch immer von Männern dominierten Beruf. Von Heike Siegemund

Jessica Gräber hat eine Ausbildung zur Schornsteinfegerin gemacht und liebt ihren Beruf. Foto: Carsten Riedl

Wenn Jessica Gräber in ihrer schwarzen Schornsteinfeger-Montur auftaucht, fällt sie auf und blickt sofort in lächelnde Gesichter: „Oh, eine Schornsteinfegerin!“, heißt es dann – oft gefolgt von der Feststellung: „Sie bringen bestimmt besonders viel Glück“.

Inzwischen ist die sympathische junge Frau bei ihren Kundinnen und Kunden keine Unbekannte mehr. „Am Anfang war es überall ein Thema, dass ich eine Frau bin. Das hat viele überrascht“, erzählt die 23-Jährige. Schließlich handelt es sich nach wie vor um einen Beruf, den vor allem Männer ausüben.

Sie hat ihren Traumberuf gefunden – und das, obwohl sie längere Zeit nicht wusste, was sie nach der Schule beruflich machen wollte. Nach dem Realschulabschluss besuchte die junge Frau, die in Plochingen aufwuchs und jetzt in Neuffen lebt, zunächst das sozialwissenschaftliche Gymnasium in Göppingen. Doch relativ schnell stellte sich heraus, dass es sich dabei nicht um den richtigen Weg für sie handelte. Sie brach nach zwei Jahren ab und absolvierte ein Freiwilliges Soziales Jahr bei den Uhinger Maltesern. „Ich wusste, dass ich nicht studieren wollte. Das ist nichts für mich. Ich bin ein Mensch der Praxis“, verdeutlicht Jessica Gräber.

Freilich war es auch in ihrer Familie ein Thema, welchen beruflichen Weg sie einschlagen sollte. „Mein Papa hat im Spaß vorgeschlagen, dass ich ein Praktikum bei einem Kaminfeger machen könnte“, erinnert sie sich. Nach kurzem Überlegen hörte sich dieser Vorschlag gar nicht mal so abwegig an: „Ich möchte draußen sein, Kontakt mit Menschen haben und nicht in einem Büro sitzen“, zählt Jessica Gräber auf. Kurze Zeit später trat sie tatsächlich bei einem Schornsteinfeger in Plochingen ein Praktikum an. Nach drei Tagen war für sie klar: „Das ist es!“. So begann sie im September 2020 bei Karl-Heinz Sigel in Weilheim eine Ausbildung zur Schornsteinfegerin.

„Einen schöneren Job kann man nicht haben“, schwärmt die junge Frau. Ihr gefällt vor allem der Kontakt mit den Menschen, denen sie in deren privaten Räumen begegnen darf. Dies habe auch viel mit Vertrauen zu tun. „Oft bekomme ich eine Tasse Kaffee, Schokolade oder Trinkgeld. Das ist auch Wertschätzung“, freut sie sich. Ihr Beruf habe viel mit technischem Wissen zu tun. „Jede Heizungsanlage und Feuerstätte ist anders. Es wird nie langweilig.“ Besonders angetan hat es Jessica Gräber, wenn ihr hoch oben auf den Hausdächern am frühen Morgen die ersten Sonnenstrahlen an der Nase kitzeln. „Ein bisschen schwindelfrei sollte man dabei schon sein“, sagt sie schmunzelnd.

Schornsteinrohre zu reinigen, gehört auch Jessica Gräbers Aufgaben. Foto: Carsten Riedl

Wichtig sei in ihrem Beruf auch, „dass man mit den Menschen reden kann“. Zu Beginn sei ihr das etwas schwer gefallen, räumt sie ein. Wer ihr heute gegenüber steht, mag das kaum glauben: Jessica Gräber strahlt Aufgeschlossenheit, Freundlichkeit und Zufriedenheit aus.

Stichwort technisches Wissen: „Am Anfang war mir das Technische gar nicht geläufig. Ich habe dann die Gesellen ausgequetscht, mir alles aufgeschrieben und zuhause nochmals durchgelesen“, blickt Jessica Gräber zurück. Ein gewisses handwerkliches Geschick sei in ihrem Beruf von Vorteil, verdeutlicht sie. „Aber man kann alles lernen, wenn man will“, sagt sie. Sorgfältig sein, sauber arbeiten, stets die Augen offenhalten – und auf weiße Wände aufpassen: Auch darauf komme es in ihrem Beruf an. Apropos Schmutz und Ruß: Freilich gehört auch das zu ihrem Beruf, ergänzt Jessica Gräber. „Dass meine Hände dreckig sind, stört mich nicht bei der Arbeit. Damit sollte leben können, wer diesen Beruf ergreift.“

Drei Jahre dauert normalerweise die Ausbildung im Schornsteinfegerhandwerk. Weil Jessica Gräber aber die Fachhochschulreife besitzt, konnte sie auf zweieinhalb Jahre verkürzen. In der Berufsschule in Ulm bildeten Mathe, Physik, Chemie und gesetzliche Regelungen die Schwerpunkte. „Früher war ich in der Schule nie ein Überflieger. Ich war normal gut“, erinnert sich Jessica Gräber. Das jedoch sollte sich in der Berufsschule ändern: „Ich war dann sehr gut, weil ich wusste, wofür ich lerne“.

Dass sie ihr Handwerk versteht, zeigt auch die Tatsache, dass Jessica Gräber bei den Deutschen Meisterschaften Kammersiegerin der Innung Stuttgart wurde. „Ich durfte dann beim Landesentscheid der Schornsteinfeger mitmachen und bin Zweite geworden“, sagt sie nicht ohne Stolz. Dass sie nach der Ausbildung von Karl-Heinz Sigel übernommen wurde, war gar keine Frage. Seither betreut sie den Bezirk Nürtingen/Großbettlingen.

Das muss man mitbringen

Was verdient man in der Ausbildung? Laut Bundesagentur für Arbeit kann die Vergütung so aussehen: 1. Ausbildungsjahr: 900 Euro brutto; 2. Ausbildungsjahr: 1000 Euro; 3. Ausbildungsjahr: 1000 Euro. 

Was muss man mitbringen? Handwerkliches Geschick, Umsicht sowie Körperbeherrschung beim Reinigen von Schornsteinen und Kaminen und beim Arbeiten in größeren Höhen. Außerdem ist Sorgfalt und Verantwortungsbewusstsein gefragt, zum Beispiel beim Prüfen von Rauchgasanlagen und bei der Beachtung von Emissionsschutzbestimmungen. Kundenberatung spielt ebenso eine Rolle wie die Bereitschaft, sich über neue rechtliche Vorgaben des Brandschutzes oder des Umwelt- und Klimaschutzes auf dem Laufenden zu halten. 

Welche Schulfächer sind relevant? Physik und Chemie sind zum Beispiel für das Messen und Beurteilen von Abgasen und Verbrennungsrückständen an Feuerungsanlagen wichtig. Mathematik-Kenntnisse sind beim Erstellen von Arbeits-, Mess- und Prüfberichten erforderlich. Werken und Technik sind für das Lesen und Verstehen technischer Unterlagen sowie für technisches Zeichnen relevant. Wichtig sind auch Deutschkenntnisse, unter anderem für die Beratung von Kunden in feuerungstechnischen Fragen. hei