Vortrag
Die Täufer in Dettingen: Der ​Aufstand ist nicht vom Himmel gefallen

Kreisarchivar Manfred Waßner hielt auf Einladung des Geschichtsvereins den Vortrag „Täuferbewegung in Dettingen zwischen 1525 und 1625“. Es ist ein bislang vergessenes Kapitel der Ortsgeschichte. 

Folter bis zum Tod war vor 500 Jahren gang und gäbe. Mit den Täufern wurde nicht zimperlich umgegangen. Foto: Iris Häfner

Wie aktuell ein historischer Vortrag sein kann, wurde in der Dettinger Schlossberghalle eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Kreisarchivar Manfred Waßner sprach über die „Täuferbewegung in Dettingen zwischen 1525 und 1625“ und erklärte gleich zu Beginn seines Vortrags: „Dettingen hat das Kriegsende 1945 hart getroffen. Nach Hitlerdeutschland mussten die Strukturen erst wieder aufgebaut werden. Und es zeigt sich auch heute wieder: Rechte und Freiheit müssen wir verteidigen – sie müssen gelebt und gepflegt werden. Das haben unsere Vorfahren für uns erkämpft.“

Es war eine gewaltige Umbruchzeit und der Beginn einer neuen Epoche.

Kreisarchivar Manfred Waßner

Bevor es detailliert um Dettingen ging, ordnete der Historiker das ganze Geschehen in die Zeitgeschichte vor über 500 Jahren ein. Doch schon da gab es mehrere Querverbindungen zu Dettingen. Dass der Schlossberg in Schutt und Asche lag, nachdem er von den Bauern geplündert worden war, hatte viele Gründe. Die alten Rechte der Bauern wurden von Klerus und Adel immer weiter eingeschränkt, Wald und Allmende durften sie nicht mehr nutzen. Die siegreichen Österreicher über Württemberg führten eine effektive Verwaltung ein. Die Abgaben konnten jetzt genau und leicht ermittelt werden. „Sie waren also nicht sonderlich beliebt. Neue Ideen, äußere Bedrohung, neue Medien – der Buchdruck ist billiger und effektiver geworden – da drängen sich Parallelen zu heute auf“, so Waßner.

Kreisarchivar Manfred Waßner.

Die Menschen wollten die Befreiung aus der Leibeigenschaft. Burgen, Schlösser und Klöster waren verhasste Symbole. „Der Aufstand ist nicht vom Himmel gefallen“, sagte Waßner und nannte zum ersten Mal den Namen Martin Stilz, der um 1480 in Dettingen geboren wurde, als Eberhard im Bart in Württemberg regierte. Er hat viel erlebt: den Armen Konrad – ein Bündnis, das 1514 im Herzogtum Württemberg aufbegehrte –, die Herrschaft Österreichs, Luthers Thesen. Als er etwa 50 Jahre alt war, eroberte Herzog Ulrich sein Land zurück, da standen die Türken vor Wien und der Krieg gegen sie verschlang Unsummen an Menschenleben und Geld. „Es war eine gewaltige Umbruchzeit und der Beginn einer neuen Epoche.“

Ochsenherden aus Ungarn

Die enorme Mobilität der Menschen werde meist unterschätzt. Sie legten täglich weite Strecken zu Fuß und auf Flüssen zurück. Dettingen hatte fünf Keltern und lieferte den Wein bis Salzburg und darüber hinaus. Zurück kamen sie mit Salz, Gewürzen und anderen wertvollen Dingen. „Ganze Ochsenherden wurden aus Ungarn ins Land gebracht. Wer unterwegs war, tauschte sich aus, nahm Briefe mit. Die Netzwerke waren weit gespannt. Reformatorische Gedanken nahmen nach und nach Gestalt an“, sagte Manfred Waßner. 

So sind die Täufer entstanden, zutiefst fromme und von ihrem Glauben überzeugte Menschen. „Während Luther näher beim alten konservativen Flügel war, waren die Täufer die Linksradikalen“, so Waßner. Michael Sattler war so ein radikaler Reformer im süddeutschen Raum. Er war Mönch in St. Peter, die Peterskirche in Weilheim gehörte dem Kloster. Manfred Waßner geht davon aus, dass Sattler in Weilheim war, womöglich im klostereigenen Pfleghof in Bissingen Quartier bezog. Als sich Sattler der Täuferbewegung anschloss, heiratete er die Äbtissin Kunigunde von Grafeneck – die Schwester von Claus von Grafeneck, dem der Dettinger Schlossberg gehörte. Als sein Schwager in Rottenburg durch übelste Folter getötet wurde, weil er an seinem Glauben festhielt, war Claus von Grafeneck vor Ort und verfasste einen ausführlichen Bericht – der gedruckt wurde – über diese grausamen Taten, denn auch seine Schwester wurde im Neckar ertränkt. „Der ritterschaftliche Adel hat viele Ideen der Täufer aufgegriffen. Auf dem Hohenwittlingen bei Urach nahm Claus von Grafeneck verurteilte Täufer gefangen und behandelte sie nicht als solche“, sagte Waßner. Einer bekam sogar Freigang.

Veranstaltet wurde der Vortrag vom Geschichtsverein Dettingen. Der Vorsitzende Ulrike Schweizer begrüßte die Gäste und leitete auch die anschließende Fragerunde. Musikalisch umrahmt wurde der Abend von den Happy Voices aus Kirchheim mit zwei passenden Liedern: „Freiheit“ von Marius Müller-Westernhagen und „Bürgerlied“ aus dem Jahr 1845. Die Kursstufe der Jakob-Friedrich-Schöllkopf-Schule hat das Catering übernommen.

 

Das „Täufernest“ Dettingen ärgerte lange Zeit die Obrigkeit

Wie ein roter Faden zieht sich der Ungehorsam der Täufer gegen die Obrigkeit durch. Vor allem Dettingen war ein richtiges „Täufernest“. Über Jahrzehnte legten sich die Bauern mit den Theologen an. Nicht wenige konnten lesen und schreiben und lieferten sich Wortgefechte mit den Kirchenleuten, die sie dank ihrer Bibelkenntnis und Argumentation ordentlich ins Schwitzen brachten. Viele Täufer verweigerten den verlangten Eid, weil sie es Gott geschworen haben. „In Dettingen gab es eine gehobene Mittelschicht, es waren sehr reiche Bauern. Sie hatten recht viel Eigenbesitz, das war zu der Zeit relativ ungewöhnlich“, sagt Manfred Waßner. Dettingen hat eine riesige Markung, galt mit 100 Höfen und fünf Keltern als größtes Dorf Württembergs mit entsprechender wirtschaftlicher Prosperität. „Es gab wohlhabende Bauern, die ihre Kinder in die Schule schicken konnten. Arme Leute waren mit der puren Existenzsicherung beschäftigt, die konnten sich mit solchen Ideen nicht befassen.“

Die von Herzog Ulrich eingeführte Reformation brachte den Täufern eine gewisse Erleichterung. „Als Ulrichs Sohn Christoph, ein merkwürdig frommer Herr, sein Nachfolger wurde, ging es wieder los in Dettingen.“ Martin Stilz wurde 1560 sogar nach Stuttgart beordert, weil die Kirchheimer, die lang mit ihm verhandelt haben, nicht mit ihm fertig wurden. „Dem Vogt war es zu blöd, mit dem halsstarrigen Stilz zu verhandeln. Als guter Beamter gibt man Zuständigkeiten weiter. Stilz war schriftkundig, kannte die Bibel. Das waren richtig ernsthafte Diskussionen. Er ist ganz gut behandelt worden, die Obrigkeit war zum Kompromiss bereit, vermutlich aus Rücksicht auf sein hohes Alter. Er wurde als fast kindisch beschrieben – vermutlich wollten die Stuttgarter die Sache vom Tisch haben. Tatsächlich ist er wenig später gestorben“, so Waßner

Doch es ging weiter mit den Täufern. „Der Mannsberghof, den Familie Hagen bewirtschaftete, lag im Wald. Er wird ein gewisses Zentrum gewesen sein.“ Nicht wenige Dettinger seien nach Mähren ausgewandert, das reformatorischer war. „Das war eine merkwürdige Konstellation. Der böhmische Adel duldete die Menschen, warb sie sogar an, weil es fleißige Menschen waren, die Steuern zahlten. Deshalb sind viele dorthin ausgewandert.“ Dort haben sie ihr Urchristentum, gemeinschaftlich zu leben, verwirklichen können. Die Verbindungen nach Dettingen rissen nicht ab, sei es durch Besuche oder Boten, weshalb Manfred Waßner den Mannsberghof als Dreh- und Angelpunkt betrachtet. Briefe wurde getauscht – und teilweise abgefangen. Einer davon befindet sich im Hauptstaatsarchiv in Stuttgart. „Vor Frommheit strotzend“ wird er damals beschrieben. „Das Ende der Dettinger Täufer bleibt im Dunkeln. Entwieder haben sie sich mit der Obrigkeit engagiert oder sind nach Mähren ausgewandert. Mansberg war bald verlassen“, sagt Waßner, dessen letzter Zeitabschnitt bei 1614 bis 1625 lag. ih