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Diskussion um Winnetou: Fiktion oder grausame Realität

Literatur Der Klassiker Winnetou ist ins Gerede gekommen. In der Region scheint dies ein Sturm im Wasserglas zu sein, denn Karl May wird kaum noch gelesen. Von Sylvia Horlebein

Seit August versucht „Der junge Häuptling Winnetou“ die deutschen Kinos zu erobern. Nahezu zeitgleich dazu brachte der Verlag Ravensburger gleich mehrere Lizenztitel auf den Markt, die schon im Juli an die Buchhandlungen ausgeliefert wurden. Passend für die Schultüte ein Erstleserbuch und für die großen Geschwister ein Kinderbuch ab acht Jahren sowie ein Puzzle und ein Stickerbuch. Doch auch wenn der Aufschrei in Kirchheim und Umgebung kaum gehört wurde, im Internet gab es während der Sommerferien nur ein Thema: Winnetou.

Von Rassismus ist die Rede und kultureller Aneignung, von Klischees, die das Leben der indigenen Bevölkerung verharmlosen und romantisieren und ganz weit von der Realität entfernt seien. Die Kritik sorgte dafür, dass der Ravensburger Verlag die Auslieferungen stoppte und die Buchhandlungen die ausgelieferte Ware zurückschicken konnten – ein Beschwichtigungsversuch des Verlags, der mit einer zusätzlichen Entschuldigung untermauert wurde. Doch ob die späte Einsicht, Gefühle anderer verletzt zu haben, wirklich die Gemüter beruhigte? Es sah nicht danach aus, viele Stimmen wurden laut, die Presse und das Internet quollen über mit Kommentaren und weiterer Kritik. Längst waren nicht mehr nur die Kinderbücher Thema, sondern die Karl-May-Festspiele und natürlich die Werke von Karl May selbst. Es gab zwei Seiten – die, die die Werke und alles damit verbundene verteufelten, und die, die davon sprachen, dass es Märchen seien, fiktive Erzählungen, die doch niemandem wehtun. Doch wer hat Recht? Müssen Klassiker aus längst vergangenen Zeiten neu geschrieben werden? Ist es nötig, dass ganze Passagen entfernt werden oder gar ganze Bücher an die heutige Zeit angepasst werden?

Katrin Hörcher von der Buchhandlung Schöllkopf meint: Nein, „die Bücher sollten nicht umgeschrieben werden, es ist immer besser, den Kindern zu erklären, warum es heute nicht mehr so ist“. Auch Sibylle Mockler aus der G. Zimmermann’s Buchhandlung sieht es so und meint: „Das sind Zeitzeugnisse.“ Nur Karen Schad vom LeseLaden sieht es ein wenig anders und ist froh, dass die Menschen heute so viel aufmerksamer seien.

Karl May ist aus der Mode

Doch ist das nicht der ganz normale Lauf der Dinge? Mit jeder neuen Generation werden Ansichten geändert, angepasst oder gestrichen. So ist es kein Wunder, dass alle drei Frauen einstimmig sagen, dass es kaum Nachfrage gibt. Selbst Lena Lang von der Stadtbücherei Kirchheim muss zugeben, dass es bei ihnen gar keine Karl-May-Bücher mehr gibt und das schon seit Jahren. Während andere Klassiker immer noch gefragt seien, würde Karl May von den Meisten vergessen. Hörcher verkauft pro Jahr höchstens vier Karl-May-Bücher und das auch nur an Liebhaber, im LeseLaden steht einsam und verlassen ein vergessenes Kinderbuch „Der junge Häuptling Winnetou“. Es wurde beim remittieren vergessen.

Die Zeit hat sich gewandelt und mit ihr der Lesegeschmack der jungen Menschen. Winnetou gehört mittlerweile in die Kategorie Märchen, spezielle Märchen, die den Nerv der Zeit nicht mehr widerspiegeln. Ganz anders verhält es sich mit den Klassikern von Astrid Lindgren, die auch heute noch eine große Fangemeinde haben und, wie Inge Eichler vom LeseLaden bestätigt, zum Teil wöchentlich nachbestellt werden müssen. Aber diese Bücher wurden ins 21. Jahrhundert gebracht, Wörter entfernt und im Allgemeinen etwas „weich gespült“. Vielleicht war der Aufschrei doch für etwas gut, auch wenn er in Kirchheim und Umgebung nicht so gehört wurde, aber hier besteht auch kein Handlungsbedarf, denn Karl May wird hier nur noch ganz wenig gelesen. Nur eine Frage stellt sich bei dieser ganzen Diskussion: Warum läuft der Film immer noch in den Kinos und wurde von der Deutschen Film- und Medienbewertung sogar als besonders wertvoll ausgezeichnet, wenn es die Bücher dazu nicht mehr geben darf?