Wenn Michaela Zanker einen „Bewegenden Hausbesuch“ macht, dann findet er nur selten im Haus statt. „Ich motiviere die Leute zum Rausgehen“, sagt die ehrenamtliche Mitarbeiterin des Vereins Soziales Netz Raum Weilheim. Die Senioren, die sie betreut, bringt sie an die frische Luft, wann immer es geht. Ein Ehepaar fährt sie regelmäßig zum Breitenstein. Dort wird gemeinsam Gymnastik gemacht. Mit einem Demenzpatienten unternimmt sie gern größere Ausflüge. „Wir waren schon im Gasometer in Pforzheim, im Kloster Lorch und bei der Gartenschau.“ Dass Michaela Zanker aber überhaupt beim Sozialen Netz gelandet ist, liegt daran, dass sie auch Mitglied in einem anderen Verein ist: dem Weilheimer Chor „Salto Vocale“.
„Es gibt starke Verbindungen zwischen den beiden Vereinen“, sagt Rosemarie Bühler, Leiterin der Koordinationsstelle im Sozialen Netz Raum Weilheim. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sie selbst bei „Salto Vocale“ singt und damit eine „Doppelrolle“ inne hat. Schnittstellen ergeben sich viele: Mal sorgen Mitglieder des Chors bei Kaffeenachmittagen für musikalische Unterhaltung, mal kommt der Erlös aus Konzerten dem Sozialen Netz zugute. Wohl am wichtigsten aber sind die Verflechtungen auf der persönlichen Ebene. „Zum einen werden Angehörige von Chormitgliedern beim Sozialen Netz betreut“, sagt Rosemarie Bühler. Zum anderen sind Sängerinnen ehrenamtliche Mitarbeiterinnen des Vereins. So auch Ingrid Noever. Sie ist - wie Michaela Zanker - über ihre Mit-Sängerin Rosemarie Bühler auf das Soziale Netz aufmerksam geworden.
Ein halbes Jahr lang hat Ingrid Noever eine Dame mit Demenz betreut. Zusammen mit dem Pflegedienst und einer Putzhilfe hat sie geholfen, der Seniorin, so lange es geht, ein Leben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen. „Zwei Mal die Woche sind wir spazieren gegangen, haben gemeinsam gekocht, alte Bücher gelesen und über die Nachkriegszeit gesprochen“, erzählt Ingrid Noever. Wenn sich die Dame weigerte, sich vom Pflegedienst waschen zu lassen, ist sie eingesprungen: „Dann habe ich sie geduscht“, sagt Noever: „Da war das Vertrauen da.“
„Den Haushalt erledigen, putzen und Medikamente geben - das sind Dienste, die man ganz klar definieren kann“, weiß Christian Birzele-Unger, Vorsitzender des Sozialen Netzes. „Aber die soziale, psychische und seelische Betreuung ist sehr komplex, weil man sich auf die Menschen einlassen und sie dort abholen muss, wo sie stehen.“ Rund 50 Ehrenamtliche arbeiten für das Soziale Netz. Jeder hat seinen Schwerpunkt und wurde fundiert geschult. Michaela Zanker etwa ist „Fachfrau“ für die „Fünf Esslinger“, Balance-Übungen zur Sturzprophylaxe. Ingrid Noever hat einen Kurs bei der Alzheimer-Gesellschaft absolviert. Stimmen muss es aber auch menschlich. „Es ist die Kunst von Rosemarie Bühler, für jeden alten Menschen den passenden, am besten qualifizierten Ehrenamtlichen zu finden“, so Birzele-Unger.
Geeignete Angebote beim Sozialen Netz haben auch die Angehörigen von zwei Chormitgliedern gefunden. Dazu gehört der Vater von Bärbel Riek. „Wir wohnen zwar in Aichelberg, aber mein Vater ist 45 Jahre lang in Weilheim ein- und ausgegangen“, erzählt sie. Seit er mit 55 Jahren einen Schlaganfall hatte, ist der heute 90-Jährige stark eingeschränkt. Er besucht einmal pro Woche das Café Lebenslust, das sich eigentlich an Menschen mit Demenz richtet. „Dort fühlt er sich wohl“, sagt Bärbel Riek. „Für ihn ist das ein fester Anker und Highlight der Woche.“
Auch der Vater von Margit Schneider nutzt die Angebote des Sozialen Netzes. Er war Landwirt und hatte nie Zeit für Hobbys und Vereine. Als seine Frau starb, wurde es einsam für ihn. Nun kommt alle zwei Wochen der Besuchsdienst, einmal im Monat geht der Senior zum „Schönen Nachmittag“ - eine Entlastung für die Tochter und eine Bereicherung für den 88-Jährigen. Anfangs sei es für den eingefleischten Landwirt undenkbar gewesen, unter der Woche nachmittags Kaffee trinken zu gehen. „Mittlerweile freut er sich aber richtig drauf“, erzählt Margit Schneider.
Gerade die Ehrenamtlichen sind es, die bei älteren Menschen die Hemmschwelle senken. „Wenn man die Leute persönlich kennt, zum Beispiel weil sie beim Chor singen, ist es viel leichter sich zu bewerben, als wenn da nur eine Broschüre liegt“, weiß Christian Birzele-Unger. Es profitieren aber nicht nur diejenigen, die Hilfe brauchen, sondern auch die, die helfen: „Man bekommt sehr viel zurück, und es entstehen echte Partnerschaften“, sagt Ingrid Noever. Das bekräftigt Michaela Zanker. Zwar wisse sie nicht, ob sich etwa ihr Demenz-Patient an die Ausflüge erinnert. „Aber wenn er aus dem Auto steigt und sagt, dass es ihm gefallen hat, ist das für mich ein besonderes Glück.“