Roboterunterstützte Eingriffe haben sich zunehmend in Krankenhäusern etabliert: Wenn der Operateur besonders präzise arbeiten muss und sehr wenig Platz zur Verfügung hat, kommt Dr. Robot immer häufiger zum Einsatz. Bislang werden solche Operationen vor allem bei Erwachsenen angewandt. Zu den Vorreitern der roboterunterstützten Kinderchirurgie zählt das Esslinger Klinikum. Dort wurde nun zum ersten Mal weltweit bei einem eineinhalb Jahre alten Mädchen eine Nierenbeckenplastik mit Hilfe eines Senhance-OP-Roboters erfolgreich praktiziert. Die guten Erfahrungen ermuntern Chefarzt Ludger Staib und den leitenden Kinderchirurgen Jürgen Holzer, dieses Verfahren häufiger einzusetzen.
Rund viereinhalb Stunden hat der Eingriff gedauert: Kinderchirurg Jürgen Holzer, Oberarzt Jürgen Beyer und ihr Team mussten bei dem Mädchen wegen einer Verengung des linken Nierenbeckens eine Erweiterungsoperation durchführen. Da ein solcher Eingriff phasenweise äußerst diffizil ist, war der Roboter mit seiner hohen Präzision besonders hilfreich. „Mit einer sehr dünnen Fünf-Millimeter-Kamera in 4K-Technologie gelang eine optimale Übersicht, sodass die feinen Nähte am Nierenbecken sehr genau platziert werden konnten“, sagt Holzer. „Das Kind war bereits einen Tag nach der Operation wieder wohlauf und auf der Normalstation.“
Den ersten kinderchirurgischen Eingriff mit dem innovativen Senhance-System gab es erst im November an der Universität Maastricht. Nun betraten die Esslinger mit der weltweit ersten kinderchirurgischen Nierenbeckenplastik mit einem Senhance-Roboter weiteres Neuland. Nach intensivem Training in Mailand hatte Kinderchirurg Holzer bereits Mitte Januar bei einem 14-jährigen Mädchen einen Schenkelbruch robotisch verschlossen - der erste kinderchirurgische Roboter-Eingriff in Deutschland mit dem Senhance-System. So ist es dem Klinikum gelungen, die Kinderchirurgie in sein Robotik-Projekt zu integrieren, das bis dahin auf die Kliniken für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Thorax- und Gefäßchirurgie konzentriert war. „Die Ausweitung in den kinderchirurgischen Bereich ist ein weiterer Meilenstein, der ebenfalls sehr erfolgreich erreicht wurde“, freut sich Ludger Staib, der Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, der das Projekt wissenschaftlich begleitet.
Vorteile auf engstem Raum
Roboterunterstützte chirurgische Eingriffe sind kein Selbstzweck. „Wir schauen uns jeden Fall an und entscheiden nach Befund, welches Vorgehen für den Patienten das beste ist“, erklärt Staib. „Der Roboter ist vor allem im Vorteil, wenn auf engstem Raum sehr präzise gearbeitet werden muss - etwa bei einem Oberbauch-Eingriff oder einer Enddarm-OP. Wenn bei solchen Eingriffen große Bewegungen nötig sind, operieren wir eher minimal-invasiv. Manchmal müssen wir uns auch für eine offene OP entscheiden.“
Auf jeden Fall wird das Vorgehen mit dem Patienten vorbesprochen. Außerdem kann während des Eingriffs jederzeit von einer roboterunterstützten auf eine minimal-invasive Operationsmethode umgestellt werden. Und in der Anfangsphase ist außerdem immer ein erfahrener Roboter-Chirurg mit am Tisch, der notfalls seinen Rat beisteuern kann. Erfahrene Chirurgen wie Ludger Staib und Jürgen Holzer schätzen die neuen Möglichkeiten: „Das ist ein ganz anderes Arbeiten. Wir Chirurgen sind es gewohnt, uns zu waschen, an den OP-Tisch zu treten und im Dreierteam zu operieren. Wenn wir mit dem Roboter arbeiten, werden die Zugänge gesetzt, über die wir die Instrumente einführen. Dann werden die Roboterarme angedockt, und der Chirurg setzt sich an die Konsole. Das ist ein ungewohntes Gefühl, bringt aber bei bestimmten Operationen erhebliche Vorteile.“
Die weiß Kinderchirurg Jürgen Holzer besonders zu schätzen: „Die Nierenbeckenplastik bei dem eineinhalbjährigen Mädchen hat lange gedauert, aber das war ein ganz ruhiges Arbeiten. Man operiert im Sitzen, kann die Arme auflegen und sehr präzise vorgehen.“
Zittern lässt sich wegfiltern
Mit dem Senhance-Gerät lassen sich Gewebestrukturen exakt begutachten, winzigste Bewegungen ausführen, und das Gerät sorgt auch nach Stunden für eine völlig ruhige Hand, weil es selbst leichtestes Zittern einfach wegfiltert. In der Kinderchirurgie ist das für viele Operationen ideal. Allerdings mit einer Einschränkung: Bislang ist das Gerät erst für Patienten ab einem Jahr und mindestens zehn Kilogramm Körpergewicht zugelassen. Doch diese Einschränkung dürfte nicht ewig gelten, und Staib geht davon aus, dass weitere Kinderchirurgen am Senhance ausgebildet werden.
Dass sie ihre Operationen einmal von zuhause aus durchführen, ist für ihn kein Thema: „In der Militärtechnik, wo diese Technologie entwickelt wurde, mag das eine Option sein. Wir brauchen die OP-Atmosphäre, auf die wir nicht verzichten werden - auch wenn diese Technik sehr zuverlässig arbeitet und für die Zukunft noch viele Möglichkeiten eröffnen wird.“