Seit zwölf Jahren ist Konstantinos Satrazanis aus Zell als „gelber Engel“ für den ADAC unterwegs. „Ich habe in dieser Zeit viele Pannen gesehen und Geschichten dazu erfahren, aber keine hat mich so bewegt wie diese“, sagt er. Am Freitag, den 1. April, wurde er zu einem ukrainischen Kleinbus mit Motorschaden gerufen. Das Fahrzeug war beladen mit Schutzwesten, Medikamenten und vielen anderen humanitären Hilfsgütern, die in der Ukraine dringend benötigt werden. Am Steuer saß Volodimir Strilchuk. Gerade war er in Oberboihingen zur Rückfahrt in die Ukraine gestartet. Er ist einer von 19 Flüchtlingen, die von Lubov Selzer-Niederer und ihrem Mann Norbert privat aufgenommen wurden. Seit Kriegsbeginn pendelt er mit einem Neunsitzer zwischen Deutschland und der Ukraine, beladen mit Hilfsgütern auf dem Hinweg und mit Flüchtlingen auf dem Rückweg.
Der Kleinbus ist nur fünf Jahre alt und steht noch sehr gut da, hat aber schon 435 000 Kilometer runtergerissen. So blieb er kurz nach dem Start auf der B 313 zwischen Nürtingen und Wendlingen liegen. Konstantinos Satrazanis sah bald, dass die Reparatur etwas Größeres wird, denn der Ölfilter war voller Metallspäne. Mit Händen und Füßen verständigte er sich mit dem Fahrer, der immer wieder „Oberboihingen“ sagte. Doch nach dorthin zurückbringen wollte der gelbe Engel ihn nicht: „Dann steht das defekte Fahrzeug auf einem privaten Parkplatz und es geschieht nichts.“ Die Gastfamilie habe schon viel Geld in die Unterbringung investiert und könne nicht auch noch das bezahlen. Also schleppte er das Fahrzeug in Patricks Werkstatt nach Weilheim ab. Deren Inhaber, Patrick Rastifard, werde nicht Nein sagen, wenn er um Hilfe bitte, schätzte er. „Der Fahrer hat mir trotz der schlechten Verständigung vertraut“, sagt er.
Patrick Rastifard ist iranisch-israelischer Abstammung. Er hat selbst erlebt, wie es ist, wenn einer dringend Hilfe braucht und keiner da ist. Als Konstantinos Satrazanis bei ihm anklopfte, sagte er ohne Zögern zu: Er übernehme die Generalüberholung des Motors, und zwar gratis. Dass daraus bald eine große Geschichte mit Presse und SWR-Fernsehen werden sollte, ahnte er damals noch nicht. Es ist ihm auch etwas peinlich. Helfen und vergessen – das wäre ihm das Liebste gewesen.
Doch es kam anders. Der Motor musste komplett ausgetauscht werden. Zur kostenlosen Arbeitszeit kämen noch rund 9000 Euro dazu, kalkulierte Satrazanis und telefonierte einige Stiftungen durch. Doch es gab nur Absagen, eine Förderung sei zu kompliziert und langwierig. Was tun? Nach einer emotionalen Achterbahnfahrt probierte er es schließlich mit Crowdfunding im Internet. „Ich wusste gar nicht, wie das funktioniert.“
Das überraschende Ergebnis beschreibt er als „Adrenalin pur“: In 30 Stunden gingen von rund 120 Spendern mehr als 10 000 Euro ein. „Ich bin sprachlos. Wer mich kennt, der weiß, dass das bei mir selten vorkommt.“ Er nahm Kontakt mit dem Autohaus Ratzel in Zell auf. Dieses erklärte sich bereit, den Motor und alle nötigen Zusatzteile zum Einkaufspreis weiterzugeben. Doch woher den benötigten Motor nehmen? „Das einzige sofort lieferbare Exemplar fand sich in Kassel“, sagt Konstantinos Satrazanis. Per Express wurde es umgehend gesendet. Zwei komplette Tage hat Patrick Rastifard in seiner Werkstatt reserviert, um gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Jasmin Shabani den Motor zu wechseln. Etwa 17 bis 18 Stunden Schraubarbeit hat er dafür kalkuliert, Motorarbeiten sind für ihn Routine. Warum nicht einfach einen neuen Bus kaufen? Diese Frage habe er in den vergangenen Tagen oft gehört, sagt Konstantinos Satrazanis, und schon mal mit „Hast du eben kurz 50 000 Euro?“ geantwortet. Hinzu käme das Problem, in einem Kriegsgebiet ein neues Fahrzeug anzumelden und alle Papiere zu bekommen.
Nun ist sogar noch etwas Geld übrig. Dieses legt Konstantinos Satrazanis in Tankgutscheinen an. Denn Volodimir Strilchuk werde für seine Fahrten noch einigen Sprit brauchen, sagt er. Bereits am gestrigen Montag hat er sich wieder auf die Reise in die Ukraine gemacht. Das SWR-Fernsehen hat den Start begleitet, es war auch beim Einbau des Motors am Freitag dabei. Die Ausstrahlung ist am heutigen Dienstagabend ab 18.45 Uhr in der Landesschau geplant.