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Droht dem Weinbau das Aus?

Umweltschutz Wengerter in der Region schlagen Alarm: Grund ist eine geplante EU-Verordnung, die ein generelles Verbot von Pflanzenschutzmitteln in sensiblen Gebieten vorsieht. Von Henrik Sauer

Die Europäische Union möchte den Einsatz von Pestiziden deutlich reduzieren. Um 50 Prozent sollen sie bis 2030 verringert werden, um die Umwelt zu schützen. Gegen dieses Ziel lässt sich zunächst nichts einwenden, denn die Auswirkungen von chemischen Pflanzenschutzmitteln auf die Artenvielfalt sind hinlänglich bekannt.

In dem bislang vorliegenden Entwurf steht allerdings eine Passage, die bei Weingärtnern die Alarmglocken schrillen lässt. Denn in einigen Gebieten soll demnach der Einsatz von Pestiziden komplett verboten werden. Und das, sagt der Linsenhöfer Winzer Helmut Dolde, hätte für den regionalen Weinanbau, unter anderem auch im Neuffener Tal, katastrophale Folgen: „Weinbau funktioniert ohne Pflanzenschutz nicht. Es wäre das Aus für den Weinbau.“

Konkret geht es um ein Verbot aller Pestizide in „empfindlichen Gebieten“, wie es in dem Entwurf heißt. Die EU-Kommission zählt dazu städtische Grünflächen, Parks und Gärten, Spielplätze, Schulen, Freizeit- und Sportplätze und öffentliche Wege. Die Menschen sollen im Alltag nicht mehr mit chemischen Pestiziden in Berührung kommen, so die Intention. Als empfindliche Gebiete stuft die EU aber auch die sogenannten Natura-2000-Schutzgebiete ein. Und hier kommen die Landwirte wie zum Beispiel die Wengerter ins Spiel. Schaut man sich die entsprechende Karte des baden-württembergischen Umweltministeriums an, gehören zu diesen Schutzgebieten viele Weinanbauflächen in der Region. Dort dürften also gar keine Pflanzenschutzmittel mehr eingesetzt werden.

 

Man hat nicht bedacht, dass das bei uns so ein dickes Ende haben könnte.
Helmut Dolde
Der Winzer aus Linsenhofen zu den gravierenden Auswirkungen der geplanten EU-Verordnung

 

Doch warum ist dies im Weinbau nicht möglich? Grund sind Pilzkrankheiten wie der echte und der falsche Mehltau, erklärt Dolde. Im 19. Jahrhundert seien sie aus Amerika eingeschleppt worden. Sie befallen die Blätter und die Trauben der Reben und können schlimmstenfalls zu einem Totalverlust der Ernte oder der Rebstöcke führen.

Auch Jürgen Pfänder, der Vorstandsvorsitzende der Weingärtnergenossenschaft Hohenneuffen-Teck, zu der auch die Hänge an Limburg und Egelsberg gehören, sieht in der Verordnung den Todesstoß für den hiesigen Weinbau: „Wenn die Verordnung so käme, würde es bedeuten, dass der Weinbau aufgegeben werden müsste.“ In der Neuffener Winzergenossenschaft gibt es derzeit 93 aktive Mitglieder, die bis auf zwei oder drei größere Betriebe Weinbau im Nebenerwerb betreiben.

Für ihn selbst, sagt Pfänder, hätte das Verbot in der Form existenzielle Auswirkungen. Er bewirtschaftet in seinem Betrieb gut zwei Hektar in den Beurener Weinbergen. Die Frage sei aber auch: „Was wird dann aus diesen Flächen? Sie würden zunehmend zur Brache werden.“

Das ist auch ein Punkt, der den passionierten Wengerter Helmut Dolde sehr ärgert. Die EU nehme mit der Verordnung für die Schutzgebiete den Wengertern nicht nur ihre Lebensgrundlage, sondern konterkariere auch noch deren Wirken für den Natur- und Landschaftsschutz. Lebensräume für Tiere und Pflanzen seien in den Weinbergen entstanden, ein Naturraum mit einer hohen ökologischen Wertigkeit. Nun werde man dafür quasi bestraft, weil es Schutzgebiet sei und unter die Verordnung falle. „Wir sind alle bestrebt, nachhaltig und naturschonend zu arbeiten, um Weinbau auch in Zukunft möglich zu machen“, sagt Dolde.

In der Genossenschaft empfehle man den Mitgliedern, als Alternative ­pilzwiderstandsfähige Sorten, sogenannte Piwis, anzubauen, berichtet Pfänder. Diese müssen zwar weniger gespritzt werden, ganz ohne geht es indes auch bei ihnen nicht, wie Helmut Dolde erläutert: Piwis sind Kreuzungen mit amerikanischen Wildreben, die eine gewisse Resistenz gegen den echten und falschen Mehltau entwickelt haben. „Die Resistenz ist aber nicht absolut“, so Dolde. Etwa zwei- bis dreimal pro Saison müssten Piwi-Sorten behandelt werden, bei den herkömmlichen Sorten seien es etwa sechs- bis achtmal.

Doch selbst das wäre nach jetzigem Stand der Verordnung nicht mehr erlaubt. Bei der Weingärtnergenossenschaft hofft man deshalb, dass ein komplettes Verbot nicht kommt. „Unsere Verbände arbeiten daran, dass das Verbot gelockert wird“, so Pfänder: „Es beträfe ja den Weinbau in ganz Deutschland. Und auch der Obstbau wäre betroffen.“

Hinzu komme bei den Piwis, dass diese Sorten schwer zu vermarkten seien, wie Jürgen Pfänder berichtet: „Silvaner und Riesling kennen die Leute. Aber die Sorte Regent zum Beispiel kommt bei den Kunden einfach nicht so gut an.“ Daher arbeite man aktuell an einem Vermarktungskonzept.

„Auch der biologische Anbau wäre von der Verordnung betroffen“, sagt Jürgen Pfänder, denn auch dieser müsse Pflanzenschutz betreiben. Auch biologische Pestizide sind nicht unumstritten, wegen des darin verwendeten Kupfers als Pilzgift.

Dolde, der 1981 im Nebenerwerb mit dem Weinbau begann und heute im Ruhestand zusammen mit Vertragsanbauern circa zwei Hektar Fläche bewirtschaftet, plädiert ohnehin dafür, den Unterschied zwischen konventionellem und bio­logischem Anbau nicht dogmatisch zu sehen: „Es gibt auch konventionelle Mittel, die an der Oberfläche wirken und keine Rückstände hinterlassen.“ Technisch sei auch im konventionellen Bereich schon viel erreicht worden, um ungewollte Kontamination von Flächen und Pflanzen zu reduzieren: „Man kann viel tun, um den Naturwert des Weinbergs zu verbessern. Wir sind da auf einem guten Weg und machen vieles besser als in der Vergangenheit.“

Typischer Kompromiss

Ähnlich argumentiert auch Jürgen Pfänder, der konventionellen Anbau betreibt, dabei aber nach eigener Aussage versucht, möglichst Bio-Methoden anzuwenden: „Ich suche mir von beidem das Beste heraus.“

Der EU-Verordnungsentwurf ist für Helmut Dolde ein „typischer Kompromiss, um die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Mitgliedsstaaten unter einen Hut zu bringen“. In südlichen Ländern mit viel Weinbau wie Spanien, Italien oder Frankreich gebe es viel weniger solcher Schutzgebiete. Dolde: „Man hat nicht bedacht, dass das bei uns so ein dickes Ende haben könnte.“

 

So sieht es das Ministerium

Das Bundeslandwirtschafts­ministerium von Minister Cem Özdemir teilt auf Nachfrage mit, man unterstütze das „grundsätzliche Ansinnen der Verordnung, die Vorgaben für die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln in der gesamten EU zu harmonisieren“. Bei manchen Punkten sehe man allerdings noch Verbesserungsbedarf, so eine Sprecherin des Ministeriums, und werde im weiteren Verfahren „entsprechende Vorschläge“ unterbreiten.

Dies betreffe unter anderem die genaue Definition von „sensiblen Gebieten“ sowie die vorgesehenen Einschränkungen in diesen Gebieten. Nach Einschätzung des Ministeriums seien sensible Gebiete europäische Schutzgebiete und Naturschutzgebiete. Das würde mithin die Natura-2000-Schutzgebiete umfassen. Weiterhin müssten nach Ansicht des Ministeriums „tragfähige Maßnahmen zur Unterstützung der Landwirte“ in der Verordnung konkretisiert und bereits erzielte Reduzierungen bei der Anwendung von Pflanzenschutz­mitteln berücksichtigt werden.

Der EU-Verordnungsentwurf ist Teil des Green Deals, den sich die EU zum Ziel gesetzt hat. Zum Stand der Umsetzung teilt das Bundeslandwirtschaftsministerium mit, der „Vorschlag der EU-Kommission“ werde zurzeit im Rat und in den Ratsarbeitsgruppen erörtert: „Dies wird sich sicherlich noch eine geraume Zeit hinziehen, sodass mit einem Inkrafttreten nicht im kommenden Jahr zu rechnen ist.“