Kirchheim/Weilheim. Depressive Verstimmungen kennt fast jeder Mensch in der ein oder anderen Lebenssituation. Im Winter wird die Schwermut verstärkt und kann sich zu einer Depression entwickeln. Die Diagnose? SAD, das Seasonal Affective Disorder. Es unterscheidet sich vor allem in seinem saisonalen Auftreten von der gemeinen Depression. Denn: Die Winterdepression endet in der Regel im Frühjahr, während die „normale“ Depression monatsunabhängig zuschlägt und durch stärkere Symptome gekennzeichnet ist. Betroffene des SAD leiden typischerweise nicht unter Suizidgedanken, was bei schwerwiegenden Diagnosen häufiger zutrifft.
Die richtige Diagnose kann freilich nur ein Experte treffen. Doch zur Orientierung nennt Diplom-Psychologin Sabine Schäfer, die in ihrer Praxis in Weilheim häufig depressive Patienten behandelt, folgende Faustregel: „Wenn depressive Symptome den Alltag und die Arbeitsfähigkeit stark einschränken und länger als zwei Wochen anhalten, sollte man unbedingt fachliche Hilfe aufsuchen.“
Allen Formen der Depression ist gemein, dass ihnen unterdrückte Gefühle zugrunde liegen. „‚Depress‘ heißt zu Deutsch so viel wie niederdrücken“, erklärt Schäfer weiter, „zu den Symptomen zählen Freud- und Hoffnungslosigkeit, Schlafstörungen und innere Unruhe.“ Während die normale Depression eher mit Appetitlosigkeit einhergeht, besteht bei Patienten mit Winterdepression oftmals eine große Lust auf Süßes. Kohlenhydrate befeuern das Belohnungszentrum im Gehirn und können so stimmungsaufhellend wirken. Wer das weiß, kann die Süßlust mit gesunden Snacks stillen. Sabine Schäfer rät, statt zu Schokoriegel und Weißbrot lieber zu langkettigen Kohlenhydraten zu greifen. Diese findet man in Vollkornprodukten oder Obst. „Auch ein Stück dunkle Schokolade darf sein“, fährt Schäfer fort.
Petra Besemer kennt die Winterdepression sehr gut – sie unterstützt mit ihrer Freizeit- und Selbsthilfegruppe im Mehrgenerationenhaus Kirchheim psychisch Kranke und deren Angehörige bei anfallenden Problemen. Sie macht keinen Hehl daraus, dass auch sie bisweilen unter Depressionen leidet. Und will Aufmerksamkeit für das Thema schaffen: „In geringem Ausmaß spürt jeder die Folgen des reduzierten Tageslichts. Deshalb wurde die Krankheit lange Zeit nicht ernst genommen“, fasst Besemer zusammen.
Experten gehen davon aus, dass es ein Zusammenspiel aus einem Mangel an Tageslicht und einem dadurch gestörten Hormonhaushalt ist, das die winterliche Schwermut auslöst. Bei Winterdepressiven gerät die Produktion des Schlafhormons Melatonin aus dem Lot, während das Hormon bei gesunden Menschen jahreszeitenunabhängig verstoffwechselt wird. Eine Möglichkeit, der Symptome Herr zu werden, ist folglich der Zugang zu Tageslicht. Sabine Schäfer und Petra Besemer sind sich einig, dass die natürlichste und einfachste Lösung meist auch die beste ist: ein Spaziergang an der frischen Luft kann Wunder für die Stimmung bewirken. Eine halbe Stunde reicht da oft schon aus.
Eine Alternative stellen Tageslichtlampen dar, vor die der Patient sich etwa jeden Morgen für eine halbe Stunde setzt. Eine solche Therapie sollte allerdings mit dem behandelnden Arzt besprochen werden – nicht zuletzt, um die Kostenfrage zu klären. Daneben ist es wichtig, sich mit Menschen zu umgeben und bewusst „Wohlfühlmomente zu schaffen“, schlägt Besemer vor. „Wann kann man sich besser Zeit nehmen für eine angenehme Lektüre, einen schönen Film oder einen Spieleabend mit Freunden, als in der dunklen Jahreszeit?“ Achtsamkeit und Entspannung sind der Schlüssel zu einem ausgeglichenen Gemüt. Bei anhaltenden Symptomen sollte jedoch unbedingt ein Experte aufgesucht werden.