Weilheim und Umgebung
Durch sechs Jahrzehnte gesungen

Musik Einst waren Wilhelm Braun und Hans Schumann die Jüngsten im Männerchor Hepsisau. Jetzt sind sie für 65 Jahre Mitgliedschaft geehrt worden. Viel hat sich in dieser Zeit verändert. Von Bianca Lütz-Holoch

Sie kennen sich seit Kindertagen und singen seit ihrer Jugend miteinander: Jetzt sind Wilhelm Braun aus Weilheim und Hans Schumann aus Neidlingen vom Schwäbischen Chorverband für 65 Jahre Mitgliedschaft im Männerchor Hepsisau geehrt worden - alltäglich ist eine solche Auszeichnung nicht.

Für die beiden 81-Jährigen gehört der Gesang einfach zum Leben dazu. „Singen macht Freude und es befreit“, sagt Wilhelm Braun. Und nicht nur das. „Es geht ja auch um die Gemeinschaft und das Vereinsleben“, ergänzt Hans Schumann, der seit 60 Jahren Vize-Chorleiter in Hepsisau ist.

16 Jahre alt sind die zwei Hepsisauer, als sie in den Männerchor eintreten. „Damals war im Dorf ja sonst nichts los“, erinnern sie sich. Für sie kommt der Beitritt einer Aufnahme in die Dorfgemeinschaft gleich: „Unter lauter gestandenen Männern zu singen, das war eine Aufwertung für uns“, so Wilhelm Braun. Als Jungspunde seien ihnen die 50-jährigen Sängerkollegen damals sehr alt vorgekommen, gesteht der 81-Jährige und lacht: „Heute sind wir die Ältesten.“

Im Hepsisau der 50er-Jahre ist der Chor für Hans Schumann auch eine Möglichkeit, seine musikalische Begabung auszuleben. Bereits mit 14 Jahren singt er im Kirchenchor, in Weilheim nimmt er Klavierstunden. „Ich bin sicher, dass er in anderen Zeiten professioneller Musiker geworden wäre“, ist Wilhelm Braun überzeugt. Doch das lässt der Alltag nicht zu. Hans Schumann muss im landwirtschaftlichen Betrieb der Eltern helfen und macht eine Ausbildung zum Gipser. „Tagsüber gipsen und abends Klavier spielen - das hat nicht geklappt“, sagt er. Bestand hat für die beiden bis zum heutigen Tage jedoch das Singen im Männerchor - auch als es beide der Liebe wegen von Hepsisau weg nach Weilheim und nach Neidlingen zieht.

„Am Anfang war ein studierter Musiker vom Michaelshof unser Chorleiter“, berichtet Wilhelm Braun. Dr. Julius Knieriem übt mit ihnen Silcher-Lieder und Chorpassagen aus Opern wie Nabucco, der Zauberflöte und dem Freischütz ein. Auch spielt er mit der Gruppe Theater - und zwar nicht nur schwäbische Schwänke. „Wir sind mit abendfüllenden Klassikern durch ganz Deutschland getourt“, erzählt Wilhelm Braun. Mit der Truppe führt er etwa Dickens‘ Weihnachtsgeschichte und „Der zerbrochene Krug“ von Kleist auf. Besonders gern denkt er an das Stück „Der Kirschblütenzweig“ von Friedrich Feld zurück. „Damit waren wir eine ganze Woche unterwegs, unter anderem in Frankfurt, Marburg und Berlin.“

Das ist Vergangenheit - ebenso wie das alte Liedgut. Silcher und Volksweisen stehen nur noch selten auf den Programm, dafür kommen immer öfter moderne, englischsprachige Stücke zum Zug. „Für uns ist das manchmal schwierig, weil wir damals in der Schule kein Englisch gelernt haben“, gibt Wilhelm Braun zu, dass ihn das viele Englisch manchmal schon befremdet: „Wir sind halt alte, konservative Sänger“, sagt er.

Verändert hat sich auch die Bereitschaft des Nachwuchses, fest im Chor zu singen. „Die jungen Leute wollen sich nicht binden und pünktlich jede Woche zur Singstunde erscheinen“, hat Wilhelm Braun beobachtet. So kommt es, dass nun mehr Projekte angeboten werden, die über kürzere Zeiträume gehen. Im vergangenen Jahr etwa hieß es „Santiano trifft Männerchor“. Rund 18 Projekt-Sänger gesellten sich zu den gut 30 Aktiven des Hepsisauer Männerchors. Hunderte von Zuhörern verfolgten das Konzert. Im kommenden Jahr führt der Chor einen Musical-Querschnitt in der Limburghalle in Weilheim auf.

Eigenartig mutet es für die beiden Männer an, dass Singen heutzutage oft nicht mehr erwünscht ist, wo es früher einmal gang und gäbe war. „Wenn man heute in einer Wirtschaft fragt, ob man singen darf, wird man komisch angeschaut“, sagt Hans Schumann. Das Gleiche gilt für Berghütten, wo Wilhelm Braun stets sein in Leder gebundenes Bergliederbuch zückte: „Auch in Familien wird kaum noch gesungen - und schon gar nicht die alten Lieder.“ Dass der Chorgesang trotzdem eine Zukunft hat, steht für Wilhelm Braun und Hans Schumann zwar außer Frage. „Aber er verändert sich weiter“, ist Braun überzeugt - zum einen was das Liedgut angeht, und zum anderen in Sachen Vereinsorganisation: „Es fehlen Mitglieder, Geld und Leute, die bereit sind, Aufgaben zu übernehmen.“