Ein Kirchenbesuch ohne Polizeipräsenz ist in der evangelischen Kirchengemeinde in Langenau aktuell kaum vorstellbar. Auch beim Neujahrsempfang wurden die Besucher von Polizeibeamten geschützt. Gleich zwei Streifenwagen waren vor Ort. Die Beamten behielten die Aktivisten im Auge, die die Gemeinde seit mehr als einem Jahr belästigen.
Eine mittlerweile „übliche Szenerie vor der Kirche“, sagt Pfarrer Ralf Sedlak. Jeden Sonntag stünden zwei oder mehr Anti-Israel-Aktivisten mit Plakaten neben der Martinskirche. Sie fotografieren und filmen die Menschen, die in den Gottesdienst gehen. Sedlak spricht von einer „Einschüchterungstaktik“. Doch daran habe er sich mittlerweile gewöhnt. Schließlich geht das Ganze schon seit über einem Jahr. Wie ist es dazu gekommen?
Seit Ende 2022 in Langenau
Erst im Oktober 2022 wird Sedlak als Pfarrer in Aichtal verabschiedet. Mit seiner Familie zieht er nach Langenau bei Ulm, wo er im November 2022 die Kirchengemeinde übernimmt. Es folgt ein gutes Jahr in der Wahlheimat, sagt Sedlak. Doch mit dem Gottesdienst am 15. Oktober 2023 ändert sich einiges.
Wenige Tage nach den Terroranschlägen der Hamas in Israel gedenkt Sedlak in seiner Predigt den Opfern des brutalen Überfalls. „Plötzlich wurde ich lautstark von einem Besucher unterbrochen, den ich vorher noch nicht im Kirchenraum wahrgenommen hatte.“
Der Mann nutzt einen kurzen Moment der Stille, um „seine Sicht der Dinge zu präsentieren“, so Sedlak. Der Störenfried wirft Sedlak vor, Falschinformationen zu verbreiten. Alle Versuche, mit dem aufgebrachten Besucher zu sprechen, sind vergebens. „Ich wurde einfach niedergebrüllt“, sagt Sedlak. Nach ungefähr fünf Minuten verlässt der Mann die Kirche, doch der Psychoterror beginnt damit erst.
Als „Faschist“ beschimpft
Rund um das Wohnhaus und die Kirche kommt es zu unterschiedlichen Ereignissen. Unter anderem werden Aufkleber aufgeklebt, auf denen der Pfarrer als „Faschist“ und „Zionist“ beschimpft wird. Auf andere Vorkommnisse möchte Sedlak zum Schutz seiner Familie nicht näher eingehen. Am Karfreitag 2024 stehen plötzlich zwei Aktivisten mit israelfeindlichen Transparenten vor der Kirche, die lautstark gegen die Gemeinde hetzen und zum Boykott Israels aufrufen. „Ich wurde öffentlich als Nazi und ,Komplize am Völkermord‘ bezeichnet“, so Sedlak. Ihren Hass verbreiten die Aktivisten mit Megaphonen. Sedlak spricht von „tumultartigen Szenen“, die sich nach dem Gottesdienst vor der Kirche abspielten. Auch gegen Passanten würden Parolen gebrüllt.
Im vergangenen Dezember kommt es zur bislang größten Aktion der Israel-Gegner, als rund 100 Menschen auf einer Pro-Palästina-Demo durch Langenau ziehen. „Es wurde skandiert, wir hätten Blut an unseren Händen“, so Sedlak. In derselben Nacht werden Martinskirche und Rathaus beschmiert. „Boycott Israel“ und „Juden vergasen“ werden in roter Farbe an die Wände geschrieben.
Zahlreiche Vorfälle habe man der Polizei gemeldet, auch die Beschädigung der Leonhardtskirche vor wenigen Tagen. Wie das Polizeipräsidium Ulm auf Anfrage unserer Zeitung bestätigt, wurden die Fenster mit einem bislang „unbekannten Wurfgeschoss“ beschädigt. Die Belästigungen seien psychisch belastend für seine Familie und ihn, sagt Sedlak: „Das zehrt an einem.“ Es herrsche eine andauernde Unsicherheit. „Vor allem, wenn fremde Personen im Gottesdienst sind.“
Mittlerweile hat sich die Landesregierung in die Gelegenheit eingeschaltet und Pfarrer Sedlak die Unterstützung zugesagt. Im November kam Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl nach Langenau, um seine Solidarität zu bekunden.