Schon vor der Wüstenetappe hatten sie Sand im Getriebe, ihr Renault 4 zeigte Macken. Dabei hatten sich Nikolas Mast und Felix Fleig akribisch auf die Teilnahme an der 4L-Trophy vorbereitet. Zusammen mit einem achtköpfigen Team aus Studierenden der Hochschule Esslingen hatten sie ihr Auto – 1100 Kubikzentimeter Hubraum, 34 PS und 650 Kilogramm Gewicht – auf Vordermann gebracht.
Dazu hatten sie im Rallye-Stall der Hochschule drei Semester lang abends, an Wochenenden und in ihrer Freizeit an dem Gefährt herumgeschraubt, geschweißt, repariert: „Ziel war es, das Auto verkehrssicher und rallye-tauglich zu machen“, erklären sie. Praktisch bis zur letzten Minute vor der Abfahrt in Esslingen hatten die Studierenden an Verbesserungen gearbeitet. Die Fahrzeugabnahme im französischen Biarritz ging reibungslos über die Bühne. Bis Gibraltar lief alles wunderbar. Doch dann wollte das Auto nicht mehr. Das Getriebe machte schlapp.
Was nun? Die Mechaniker des Trophy-Veranstalters machten nur wenig Mut: „Das ist etwas Größeres. Dafür haben wir keine Ersatzteile.“ Mast und Fleig wagten’s dennoch und entschieden sich fürs Weiterfahren. Mit der Fähre setzten sie nach Marokko über und zuckelten noch gut 50 Kilometer bis zu einer Werkstatt: „Der erste und der zweite Gang gingen, der dritte und der vierte nicht.“ Nach zwei Tagen hatten die Werkstatt-Mitarbeiter von irgendwoher – „wahrscheinlich aus Casablanca“ – irgendein Getriebe hergezaubert und eingebaut, das bis zum Ende der Tour halten sollte. Zwei Tage verloren – das wollten Felix Fleig und Nikolas Mast wieder aufholen. Sie fuhren 15 Stunden am Stück, wechselten sich ab, kamen verspätet im Wüstencamp an.
Ein klassisches Touristenproblem plagte sie auch: Sie hatten zu viel Gepäck mitgenommen. Ihr Renault 4 war recht gut beladen. „Wir wussten nicht, was wir in der Wüste brauchen würden – warme oder leichte Kleidung“, erklärt Felix Fleig. Die Wüstennächte waren aber nicht so kalt wie befürchtet. Doch die Tagestemperaturen kletterten auf bis zu 37 Grad. Auch die Ausrüstung fiel ins Gewicht: „Wir hatten ein Zelt, Werkzeug und 50 Kilogramm Lehrmaterial dabei“, erzählt Nikolas Mast. Zur L4-Trophy gehört stets auch eine soziale Komponente: Jedes Team muss ein Charity-Projekt übernehmen. Die Studierenden hatten Englisch-Lexika für marokkanische Schüler mit an Bord. Die Bücher, die ein Fellbacher Gymnasium spendiert hatte, übergaben sie im Wüstencamp an eine gemeinnützige Organisation, die sich um die Verteilung kümmerte.
Trotz dieser Erleichterung waren die Wüstentouren nicht ohne. Doch der Renault 4 hielt – und hielt alles aus. Die Weiterfahrt nach Marrakesch machten die beiden Studierenden über das Atlas-Gebirge. Das sei schon eine aufregende Fahrt und eine einmalige Erfahrung gewesen, resümieren sie. Das internationale Flair der Veranstaltung hat ihnen gefallen. Schließlich war außer ihnen nur ein weiteres deutsches Team am Start – das R- 4-Team aus Westfalen.
Der Fahrspaß wurde aber manches Mal zum Fahrernst. Auf den Straßen tummelte sich allerlei Getier – Hunde, Katzen, Esel, Schafe. Die Kinder an den Straßenrändern kamen neugierig angelaufen, um sich die Autos anzusehen. Geröll, Steinhaufen und Unebenheiten machten die Piste zum Abenteuer. 8000 Kilometer legten Mast und Fleig zurück. Es waren lange Stunden am Lenker. Einer saß am Steuer, der andere übernahm die Navigation durch das unbekannte Terrain. Doch das klassische Konflikt- und Spannungspotenzial zwischen Fahrer und Beifahrer kam erst gar nicht auf. Felix Fleig und Nikolas Mast verstanden sich nach eigenen Angaben bestens. In Marrakesch gab es dann die Siegesfeier. Gewonnen hatte, wer die wenigsten Kilometer gebraucht hatte. Ihre Platzierung möchten die sonst so auskunftsfreudigen Studierenden allerdings nicht verraten. Nur, dass von 900 Teams 200 nicht ins Ziel kamen – und dass sie durch den Getriebeschaden zwei Tage verloren haben.
Über Spanien ging es wieder zurück nach Hause. Von Barcelona nach Esslingen fuhren sie 1200 Kilometer am Stück durch – eine Riesentour ganz ohne Wüstenstaub. Doch das Auto hat Blessuren abbekommen. Es wird nun für den Start bei der L4-Trophy 2023 und andere Events fit gemacht. Felix Fleig und Nikolas Mast aber machen sich wieder verstärkt an ihr Studium. Denn Sand im Getriebe wollen sie auch hier nicht.
Der Rallyestall der Hochschule Esslingen
L4-Trophy: Bei dieser Wüstenrallye dürfen nur Studierende im Alter zwischen 18 und 28 Jahren am Steuer eines Renault 4 teilnehmen. Die etwa 6000 Kilometer lange Strecke führt von Frankreich nach Marrakesch. Jedes Team muss mindestens 50 Kilogramm Bildungsmaterialien für Schulkinder in Marokko mit sich führen. Die erste Veranstaltung fand 1998 statt. Die 26. Trophy war eigentlich vom 16. bis 26. Februar geplant. Doch sie wurde coronabedingt auf den Zeitraum vom 5. bis zum 15. Mai verschoben.
Der Rallye-Stall der Hochschule Esslingen wurde laut Hermann Lücken 2018 gegründet. Der Impuls kam aus einer „Schnapsidee“ heraus, sagt der Professor. Auf einer Exkursion nach Augsburg hatte er zur vorgerückten Stunde zwei Studierenden von seinen Träumen aus Studientagen erzählt – nämlich einer Teilnahme an der Allgäu-Orient-Rallye. Das müsste sich doch machen lassen, meinten die Studierenden. So wurde der Rallye-Stall der Hochschule gegründet. Ziel sei auch, so Hermann Lücke, dass die Studierenden Praxiserfahrung sammeln können.
Mehr zum Projekt steht im Internet unter www.rallye-stall.de. sw