Tatjana Richter steht an ihrer Kardiermaschine. „Marke Eigenbau“, erklärt die Bissingerin und zeigt auf den Akkuschrauber, der die Walze zum Drehen bringt. Die Kardiermaschine braucht sie, um ihre Rohwolle zu säubern und zu kämmen, sodass am Ende ein Vlies entsteht, das sie weiterverarbeiten kann. Ihre vierbeinigen Woll-Lieferanten gehören zwei Schäfern aus Bissingen und Neuffen. „Die Schurwolle kommt einerseits von Rhönschafen, sie ist besonders robust und strapazierfähig. Manch einer empfindet sie vielleicht als etwas kratzig“, erklärt Tatjana Richter, „der andere Teil ist weiche Merinowolle. Ein Mix aus beiden eignet sich zum Beispiel gut für Socken.“
Traditionelles Handwerk
Gestrickt hat sie davon einige, genauso wie beispielsweise Mützen, Pullis oder Jacken. Stricken, Häkeln, Weben – die Handarbeit ist eine große Leidenschaft der Bissingerin. „Das war schon immer so, ich habe auch zu Schulzeiten gerne gestrickt. Erst für meine Puppen, dann für mich selbst. Die Pullis, die zur Abi-Zeit entstanden sind, habe ich heute noch“, erzählt Tatjana Richter. Zwischen der Schulzeit und heute fehlte es oft an der Zeit für das große Hobby. „Vor rund dreieinhalb Jahren habe ich wieder richtig damit angefangen. Da hatte es sich ergeben, dass ich nach der Schur im Mai die Rohwolle von den beiden lokalen Schäfern bekommen konnte, die sie selbst nicht benötigten“, so Richter. Das habe sich mittlerweile nun so etabliert.
Das ist ein bisschen wie zaubern, bis am Ende ein Faden entsteht.
Tatjana Richter
Das Besondere an Tatjana Richters Hobby ist, dass sie die letztlich verarbeitbare Wolle ganz traditionell in den nötigen Schritten vom Waschen und dem anschließenden Abkochen der Schafrohwolle auf einem alten Kirchheimer Kowa-Herd über das Färben und Kardieren bis hin zum Spinnen des Vlieses zu Fäden, die dann verhäkelt, verstrickt oder verwebt werden, selbst herstellt. „Für einen Pullover brauche ich 500 Gramm Wolle. Bis ich 50 Gramm zur Verarbeitung in der Hand habe, benötige ich fünf bis sieben Stunden. Also allein bis zu 70 Stunden, bis ich genügend fertige Strickwolle für einen Pulli zusammen habe“, erklärt Tatjana Richter, weshalb die Endprodukte dann auch ihren Preis haben. Gearbeitet wird insgesamt so nachhaltig wie nur möglich. „Was an Wollresten übrig bleibt, kommt zum Beispiel als natürlicher Dünger in den Garten“, so Richter.

Farbstoff aus der Natur
Gefärbt wird die Wolle bei Bedarf vor dem Kardieren mit Naturprodukten. Am liebsten verwendet Tatjana Richter dafür, was in ihrem Garten wächst, darunter beispielsweise Brennnesseln oder Brombeerblätter (ergeben Grün), unreife Walnüsse (Rostbraun), Efeu (Gelb), Zwiebelschalen (Gelb bis Orange) oder auch Blüten der schwarzen Bauernrose, die im Farbsud einen Blauton ergeben. „Anfangs musste die ganze Nachbarschaft Zwiebelschalen für mich sammeln“, erzählt Richter und lacht. Neben der eigenen natürlichen Gewinnung von Farben bestellt sie zusätzliche Töne wie Indigo oder den roten Farbstoff Karmin, der seit geraumer Zeit aus getrockneten Chochenille-Läusen (weibliche Schildläuse) gewonnen wird und unter anderem bei der Herstellung von Lippenstift Veverwendet wird.

Flachs ist das neue Projekt
Ihr erstes traditionelles Spinnrad mit Fußbetrieb hat Tatjana Richter auf einem Flohmarkt in Kirchheim gefunden. Heute ist neben diesem zusätzlich eine etwas neuere Variante im Einsatz, ebenfalls mit Fußbetrieb. „Angefangen habe ich mit einer Handspindel. Bis heute habe ich zur Fadenproduktion unterwegs immer eine kleine in der Handtasche. Alternativ spinne ich damit auch abends noch etwas Wolle im Bett“, fügt sie hinzu, „da kann man danach richtig gut schlafen.“ Irgendwie sei das „ein bisschen wie zaubern“, bis am Ende ein Faden entsteht, findet Tatjana Richter, „und dazu ist es ein entspannendes Arbeiten.“ Auch Webstühle gibt es im Hause Richter mittlerweile einen kleinen und einen großen. „Hätte ich 24 Stunden Zeit, würde ich auch so lange Wolle zupfen, spinnen oder weben. Man sieht etwas entstehen, das ist wirklich toll.“
Eine Idee sei es, ab dem Herbst Kurse zur Woll-Verarbeitung anzubieten, um das Wissen um das alte Handwerk weiterzugeben. Immer wieder kämen auch Schulklassen vorbei, berichtet Tatjana Richter, die schon das nächste Projekt fest im Blick hat. Sie hat angefangen, Flachs selbst anzubauen, und besucht einen Intensivkurs zum Flachsen: „Mein Ziel ist es, irgendwann mein eigenes Leinenoberteil aus meinem Flachs herzustellen“, sagt sie.
Weitere Infos unter www.villarichter.de unter dem Stichwort „Tatjana’s Teck-Wolle“.