Ein deutliches Statement für Freiheit und Frieden setzte die Nürtinger CSD-Gruppe am Samstag beim ersten Christopher Street Day in der Stadt. Rund 300 Menschen zeigten dabei Flagge für die queere Community – und setzten sich für Selbstbestimmung und Vielfalt ein.
„Ich kann‘s kaum glauben“, freute sich Moderatorin Sapphire Toniq, dass nach monatelangen Planungen der CSD endlich auch in Nürtingen gefeiert werde. „Genießt den Tag“, ruft sie den rund 300 Menschen zu, die gekommen sind. Laut wollen sie sein, um aufmerksam zu machen auf die Diskriminierung, Gewalt und Unterdrückung, die für viele queere Menschen immer noch Alltag ist.
Die Rechte von Menschen, die sich nicht an traditionellen Geschlechtsidentitäten und Sexualitäten orientierten, seien weltweit bedroht, sagt Miika vom CSD Nürtingen: „Politische Unterdrückung, politischer und religiöser Konservatismus, Desinformation und wirtschaftliche Ungleichheit führen dazu, dass hart erkämpfte Freiheiten in vielen Ländern untergraben werden.“ So habe Uganda das Anti-Homosexualitätsgesetz wieder eingeführt, mit harten Strafen. Russland stufe queere Menschen als „extremistisch“ ein und verbiete alle öffentlichen Äußerungen. In den USA seien die Rechte von Trans- und nicht-binären Menschen eingeschränkt worden. Die katholische Kirche in Rom spreche von „Gender-Ideologie“ als „hässlichste Gefahr der heutigen Zeit“.
Sorge vor Übergriffen und Druck von rechts
In Deutschland gerieten queere Menschen zunehmend ins Visier rechter Gruppen und Politiker in Deutschland, sagt Miika: „Sie versuchen, den Pride Month durch den sogenannten, Stolzmonat‘ zu ersetzen, um queerfeindliche Ideologien zu verbreiten.“ Die Zahl der Straftaten in Deutschland auf queere Menschen habe sich seit 2010 nahezu verzehnfacht. Wie real die Bedrohungen sind, zeigten Übergriffe auf den CSD in Esslingen vor wenigen Wochen: Teilnehmer seien dabei mit Eiern beworfen und sogar mit einer Soft-Air-Pistole beschossen worden, berichtete CSD-Redner Robin aus Reutlingen.
Zu all diesen Dingen, so Miika, solle die queere Community am besten schweigen. Sich schämen und verstecken. Sie solle „nett und angepasst sein.“ Deshalb sei es wichtig, einen CSD auch in Nürtingen zu veranstalten, sich nicht klein oder mundtot machen, sich nicht beschämen zu lassen. „Scham erzeugt Trauma und Trauma erzeugt Lähmung“, zitierte die Sprecherin des CSD Nürtingen Bell Hooks. Die Amerikanerin war Hochschuldozentin und beschäftigte sich mit Feminismus, Genderfragen und Antirassismus. Miika machte zusammen mit ihren Mitstreitern klar: „Wir sind heute hier, weil wir uns nicht schämen wollen. Wir sind weder ein Trend, noch eine Ideologie oder Propaganda.“
Theatergruppe räumt mit Rollenbildern auf
Unter die Haut geht der Beitrag des Politischen Theaters Nürtingen. „Ich bin eine Frau, ich kümmere mich um alle“, sagt die Schauspielerin und lächelt. Wenig später findet sie sich zu Füßen des Mannes wieder, der sie am Aufstehen hindert, kleinhält. „Du bist ein Mädchen, Du lächelst gerne“, wird die nächste Schublade der Klischees eröffnet. Doch wäre sie lieber ein Mann. Die Akteure räumen auf mit den Rollenbildern und erklären: „Ich baue eine neue Schublade, und die heißt Mensch.“
Demo-Zug und Drag-Show
Unter dem Motto „Politisch, flauschig, militant. Queers against Facism“ zieht die Pride-Parade im Anschluss an die Kundgebung durch die Nürtinger Innenstadt. Gut 300 Menschen folgen dem Lautsprecherwagen, schwenken bunte Fahnen und Schirme und skandieren Rufe wie „Nie wieder still“.
Im Anschluss an den bunten Umzug durch die Nürtinger Innenstadt gibt es noch eine kleine Drag-Show für das Publikum, bei der unter anderem die beiden Moderatoren Logan Steele und Sapphire Toniq auftreten und die Menge zum Feiern bringen. „Das ist ein Festtag für uns“, meint Miika. Mit der Resonanz auf den ersten CSD in Nürtingen ist das Mitglied des Orga-Teams mehr als zufrieden.

