Weilheim und Umgebung
Ein Gaststättenkind erinnert sich

Geschichte Alfred Ulmers Eltern führten bis 1968 das Gasthaus Krone und die Metzgerei in der Lindachstraße. Auch seine Großeltern waren Wirtsleute. Von Bianca Lütz-Holoch

Alfred Ulmer hat viele Erinnerungen an seine Kindheit in der Krone. Foto: Jean-Luc Jacques
Alfred Ulmer hat viele Erinnerungen an seine Kindheit in der Krone. Foto: Jean-Luc Jacques

Über dem Gastraum der Krone in Weilheim kommt 1952 ein Kind zur Welt - 15 Meter Luftlinie vom Zapfhahn entfernt. Alfred Ulmers Geburtsort ändert nichts daran, dass Schankraum und Schlachthaus so gar nicht sein Ding sind. Statt in der Wurstküche zu helfen, bastelt der Junge im Saal der Gaststätte lieber an seinen Modellflugzeugen herum. Seine Ausbildung macht er bei Festo in Neidlingen. Später wird er zuerst Service-Techniker, dann Verkaufsleiter bei der Modellbau-Firma Graupner in Kirchheim.

Erinnerungen an die Tage als „Gaststättenkind“ hat Alfred Ulmer aber noch viele. „Es war unwahrscheinlich interessant, in einer Wirtschaft aufzuwachsen“, schwärmt er. „Früher kamen die Menschen dorthin, um zu reden und zuzuhören. Die Wirtschaft war eine soziale Begegnungsstätte, die es heute in dieser Form nur noch selten gibt.“ Die Gäste aßen und tranken nicht nur, sondern tauschten auch Nachrichten aus.

Beide Eltern stammen aus Gastwirtsfamilen

Um eigene Erinnerungen und die Erzählungen der Eltern zu ergänzen, hat Alfred Ulmer recherchiert. Er kopierte Kirchenbücher, stellte Stammbäume zusammen und sammelte alte Fotografien.

„Meine Eltern haben 1950 die Gaststätte Zur Krone in der Lindachstraße übernommen“, sagt Alfred Ulmer. Emil Ulmer und seine Frau Paula, geborene Fischer, stammen beide aus Gastwirtsfamilien. Man kannte sie als „Rosen-Emil“ und „Kaiser-Päule“. „Meinem Großvater väterlicherseits gehörte in Weilheim die Rose, das heutige Pulverfass.“ Die Eltern seiner Mutter führten den Deutschen Kaiser in der Mühlstraße. Vater Emil war ein Metzgermeister mit Kaufmannslehre. Er lebte einige Jahre in der Schweiz, arbeitete als Fischer am Bodensee und bekochte im Krieg Soldaten, bevor er wieder nach Weilheim kam.

Alfred Ulmer mit seiner Mutter. Archiv-Foto: privat

Paula Fischer half ihrem Vater im Deutschen Kaiser aus. Mit einem 98-Kubik-Motorrad brauste sie regelmäßig los, um Aichelberg mit Fleisch und Wurstwaren zu beliefern. Ihren späteren Mann Emil lernte Paula Fischer in der Rose kennen. Dort begann die junge Frau nach dem Tod ihrer beiden Geschwister und ihres Vaters zu arbeiten - als Metzgerin. Einmal, so weiß Alfred Ulmer aus Erzählungen, versagte im Schlachthaus der Bolzenschussapparat, und der Stier ging auf seine Mutter los. Geistesgegenwärtig lud Paula Fischer nach und brachte das Tier gerade noch zu Fall. „Als Lohn für ihre Arbeit wurde der Deutsche Kaiser mit Fleisch und Wurst versorgt“, sagt Alfred Ulmer.

 

"Wir hatten eine schöne Kindheit"

Hart gearbeitet hat Paula Ulmer auch später, als sie gemeinsam mit ihrem Ehemann die Krone führte. „Meine Mutter saß oft bis nachts mit den letzten Gästen da und musste morgens um 6 Uhr wieder aufstehen.“ Dann hieß es putzen, Ware holen und die Metzgerei öffnen, die sich in der Krone rechts neben dem Eingang befand. „Zudem haben unsere Eltern auch noch mich und meine sechs Jahre ältere Schwester Marliese aufgezogen“, sagt Ulmer und betont: „Wir hatten eine schöne Kindheit.“

„Mein Vater und meine Mutter haben beide gut gekocht“, erzählt er. Weil sie neben der Gaststätte auch eine Metzgerei führten - eine Wirtschaft allein warf damals nicht genug ab, um überleben zu können - standen stets frische Zutaten zur Verfügung. „Nach dem Schlachten gab es traditionell saure Kutteln mit Bratkartoffeln. Dann kam fast die gesamte Belegschaft der Firma Erdbau Fischer zu uns.“Ausgestattet war die Krone eher primitiv. Für Unterhaltung sorgten Plattenspieler und Radio. Im Garten stand ein kleines Schlachthaus, das später erweitert wurde. Unter dem Saalbau befanden sich Kühlräume und eine Wurstküche.

Nach dem Krieg zogen in den Saalbau mehrere Flüchtlingsfamilien ein. Einige von ihnen trafen sich auch später noch zum Stammtisch in der Krone, um Erinnerungen an ihre alte Heimat auszutauschen und Taroq zu spielen.

Bis 1968 betrieben Ulmers die Gaststätte, dann kaufte Johannes Fischer, Gründer der Spedition Hans Fischer, das Haus in der Lindachstraße. Er vermietete die Räume an Gastarbeiter, bis in der Krone 1971 ein Feuer ausbrach. Danach wurde die einstige Gaststätte ebenso wie das benachbarte Stolz‘sche Haus aus dem Jahr 1604 abgerissen. In dem anschließend neu erbauten Geschäftshaus befindet sich heute der Drogeriemarkt Müller. Erstmals als Gasthaus vermerkt wurde die Krone im Jahr 1928. Von 1948 an war Rosine Bachofer als Inhaberin aufgeführt.