Aktivismus
Ein Jahr im Protest gegen Rechts

An mehr als 50 Samstagen standen die Kirchheimer „Omas gegen Rechts“ schon in der Fußgänger­zone, um sich gegen Hass und für Demokratie stark zu machen. Ein Ende ist erst einmal nicht in Sicht.

Von Kälte und schlechtem Wetter lassen sich die Omas nicht vom Kurs abbringen: Sie haben noch nie eine Woche ausgesetzt. Foto: Renate Hirsch

Seit ziemlich genau einem Jahr sind sie eine Konstante im Kirchheimer Stadtgeschehen: die Omas gegen Rechts, die jeden Samstag mit selbst gebastelten Schildern und unermüdlichem Stehvermögen in der Fußgängerzone anzutreffen sind.

Ich habe in mir eine tiefe Angst, dass sich dieses Gedankengut verfestigt.

Angelika Matt-Heidecker, Initiatorin der Kirchheimer Omas gegen Rechts

„Ich bin stolz, Oma zu sein, und ich glaube, dass ich eine Verantwortung gegenüber meinen Enkeln habe“, erklärt Kirchheims frühere Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker. Über ein Plakat wird sie im Frühjahr 2024 auf das Konzept der Omas gegen Rechs aufmerksam und ergreift unmittelbar die Initiative für die Gründung einer eigenen Gruppe. Ihre Idee macht sie erstmals bei einer Kirchheimer Demonstration gegen die vom Medienhaus Correctiv enthüllten „Remigrations“-Pläne publik – und erntet begeisterten Zuspruch.

Unverbindliches Engagement

Lange dauert es nicht, bis sich eine kleine Gruppe engagierter Omas zusammenfindet. Die gemeinsame Entscheidung fällt auf eine wöchentliche Mahnwache in der Fußgängerzone. Andrea Bürker, die bereits seit Tag eins mit dabei ist, berichtet, dass man sich dafür in den ersten Monaten jeden Samstag mit einer der zahlreichen Organisationen zusammengetan habe, die sich bereits bei der Demonstration solidarisch erklärt hätten. „Es war schön für uns, zu erfahren, dass es für so viele Initiativen gar keine Frage war, sich mit uns hinzustellen.“

Mittlerweile, so Angelika Matt-Heidecker, habe sich eine „wunderbar bunte“ Gruppe etabliert. Renate Hirsch, die ebenfalls zum harten Kern der Kirchheimer Omas gegen Rechts zählt, sieht eine Stärke des Konzepts in der Unverbindlichkeit. Die Omas seien eine Möglichkeit, sich ganz niederschwellig zu solidarisieren, ohne zuvor einem Verein beitreten zu müssen. So gebe es laut Angelika Matt-Heidecker auch viele Menschen, „die sich einfach ein Plakat nehmen, sich für eine halbe Stunde dazustellen und danach weitergehen.“

Es gibt auch Gegenwind

Der Widerstand „gegen Rechts“, bedeutet für die Omas, sich für den Erhalt einer demokratischen Gesellschaft einzusetzen, in der für Hass und Hetze kein Platz ist. Die wöchentlichen Mahnwachen verfolgen das Ziel, Aufmerksamkeit auf die Botschaft zu lenken und mit den Menschen in den Dialog zu treten. Allerdings komme das nicht bei allen gut an. „Eine negative Bemerkung, die ich besonders krass fand, war: Ach, geht doch ins Altenheim! Da seid ihr besser aufgehoben“, berichtet Angelika Matt-Heidecker. Selbst im politischen Umfeld habe sie sich schon herablassende Bemerkungen anhören müssen.

Omas mit Herzblut: Andrea Bürker, Angelika Matt-Heidecker, Renate Hirsch und Marianne Gmelin (von links nach rechts). Foto: Fiona Peter

Auffällig sei es auch, so Stadträtin Marianne Gmelin, dass negative Äußerungen vorrangig von älteren, weißen Männern kämen. Die überwiegende Mehrheit der Menschen reagiere jedoch sehr, sehr positiv. Andrea Bürker erzählt von einem Gespräch mit einem Mann mit Migrationshintergrund. Damals habe die Gruppe noch in den Kinderschuhen gesteckt: „Er hat gesagt, wie toll er das findet, und kommt jetzt sehr regelmäßig. Das ist unser treuester Unterstützer.“

Renate Hirsch wirft ein, dass den Kirchheimer Omas gegen Rechts durchaus bewusst sei, dass man hier einen leichten Stand im Vergleich zu Gruppen in Ostdeutschland habe. Im Austausch untereinander habe man erfahren, dass die Omas im Osten nicht selten mit heftigem Gegenwind und üblen Anfeindungen konfrontiert seien. „Das erleben wir hier nicht.“

Viel eher passiere es, dass das Engagement der Omas bei den Passanten auf Desinteresse stoße. Vielerorts fehle der Wille, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. „Es gibt nur noch wenige, die den Krieg miterlebt haben“, argumentiert Andrea Bürker. „Wir sind eine Generation, die die Demokratie geschenkt bekommen hat.“ Dass man nun etwas dafür tun müsse, diese aufrechtzuerhalten, sei noch nicht überall angekommen.

Man hofft auf bisher Untätige

Die Stigmatisierung von Menschen mit Migrationshintergrund, die Verleugnung und Ablehnung von Homosexualität, die Verdrängung von Menschen mit Behinderungen aus der Gesellschaft – „Es sickert immer mehr durch“, bedauert Marianne Gmelin. Angelika Matt-Heidecker befürchtet, dass Personen mit der Tendenz zu derartigen Haltungen sich nicht gen Einsicht, sondern in die entgegengesetzte Richtung bewegen. Die AfD habe nicht mehr, so wie vor zehn Jahren, fast nur Protestwähler. „Ich habe in mir eine tiefe Angst, dass sich dieses Gedankengut verfestigt.“

Ich erlebe es, dass Menschen aufgrund der politischen Situation aufwachen und bereit sind, etwas zu tun. 

Andrea Bürker, Teil der Kirchheimer Omas gegen Rechts

Doch Furcht und Aussichtslosigkeit sollen nicht das Fundament der Bewegung sein. „Für uns spielt das Prinzip der Hoffnung eine große Rolle“, betont Andrea Bürker. Streng nationalistische Menschen durch das Engagement der Omas bekehren zu können, hält sie für eher unrealistisch. Stattdessen hofft sie darauf, den Teil des nicht-rechten Lagers zu mobilisieren, der bisher still geblieben ist. „Ich erlebe es, dass Menschen aufgrund der politischen Situation aufwachen und bereit sind, etwas zu tun“, so Bürker. Ob es genug sind? „Ich weiß es nicht.“ 

Auch Angelika Matt-Heidecker sieht die große Herausforderung darin, die untätigen Menschen zum Handeln zu bewegen. Man müsse in die Wohnzimmer kommen, dort „wo die Medien wirken, doch wo der Austausch nicht stattfindet“. 

Wie geht es für die Omas weiter?

Die Kirchheimer Omas gegen Rechts schließen es nicht aus, ihr Konzept in Zukunft weiterzuentwickeln. So könne man die sozialen Medien effektiver nutzen und Energie in größere Aktionen investieren, anstatt ausschließlich auf den wöchentlichen Mahnwachen präsent zu sein.

Eine Sache ist jedenfalls klar: In Anbetracht der aktuellen Entwicklungen kommt es für die Omas nicht infrage, ihre Schilder niederzulegen. Sie werden weiter auf die Straße gehen, in der Hoffnung, genug Lärm zu machen, um auch die Letzten aufzuwecken.