Aus seiner Anspannung machte Peter Wer, Teamleiter des Bahnprojekts Stuttgart-Ulm, am Samstag beim spektakulären Verschub der Eisenbahnbrücke über die B 313 an der Autobahn-Anschlussstelle Wendlingen keinen Hehl. „Sie sehen, ich bin richtig aufgeregt“, sagte der erfahrene Bauingenieur, der seit 30 Jahren für die Bahn arbeitet. Projekte wie dieses sorgen auch bei einem erfahrenen Teamleiter wie Wer noch immer für Lampenfieber. Das sei für ihn alles andere als alltäglich. Von 9 Uhr morgens bis in die späten Abendstunden dauerte es, die 820 Tonnen schwere Fachwerkbrücke zu verschieben.
Viele Schaulustige verfolgten die Arbeiten zwischen Wendlingen und Köngen. Um Menschenansammlungen zu vermeiden, hat die Bahn-Projektgesellschaft die Arbeiten in einem Livestream mit Interviews dokumentiert. Zwei Drohnen schwirrten über die Baustelle, zwei Kameras hielten das Geschehen am Boden fest. Zwei Tage lang war die B 313 in diesem Abschnitt für den Autoverkehr voll gesperrt. „Mit dem Wetter hatten wir großes Glück“, sagte Oliver Laible, Geschäftsführer der Bauunternehmung Gottlob Rommel. Bei eisigen Temperaturen, wie sie im Februar zu erwarten sind, hätte es nach Ansicht des Experten deutlich mehr Probleme geben können. So lief auf der Großbaustelle alles glatt.
Die 820 Tonnen schwere Stahlkonstruktion wurde nach Peter Wers Worten in 30 Einzelteilen nach Wendlingen geliefert. Hergestellt wurde sie bei der Firma Schachtbau Nordhausen in Thüringen. Über die Wintermonate war sie wie ein Paket verhüllt, um die Temperatur konstant bei 15 Grad zu halten. Andernfalls hätten sich die Teile, die Ingenieure zusammengeschweißt haben, verziehen können. „Eine solche V-Fachwerkbrücke gibt es in Deutschland nicht allzu oft“, erläuterte Wer. Die Konstruktionsart kenne man aus dem 19. Jahrhundert. Durch die verknüpften Enden entstehen hohe Tragfähigkeiten, was die Brücke für den Eisenbahnverkehr interessant macht. Was den Brückeneinschub an der Anschlussstelle Wendlingen so besonders machte, ist die Technik. Auf der einen Seite wurde das tonnenschwere Bauwerk mit einem fahrbaren Untersatz bewegt. Auf der anderen Seite hievte Deutschlands stärkster Raupenkran die Konstruktion mit einer Spannweite von 52 Metern auf die andere Seite. So wurde die schiere Last nach den Worten von Peter Wer jeweils verteilt. Die Brücke ist stolze 14,75 Meter breit. Auf beiden Seiten sind Gehwege angeordnet.
Damit die Bewegung flüssig klappte, schmierte ein Team unter der Brücke die Schienen ständig mit Teflon nach. „Da geht es um Konzentration“, erläuterte Oliver Laible. Behutsam operierte sein Team unter der Brücke mit dem schweren Material, spritzte in die Leerräume. Da muss jeder Handgriff sitzen. Nur so ließ sich der Koloss bewegen. Als die Brücke mithilfe des leistungsstarken Krans auf der anderen Seite angekommen war, wurde sie langsam auf ihre Stützen heruntergelassen.
Wenn die Bahnstrecke fertig ist, werden Schnellzüge mit einer Geschwindigkeit von 240 Stundenkilometern auf zwei Gleisen über die neue Eisenbahnbrücke rasen. Damit die vorbeifahrenden Züge den Autoverkehr nicht stören, wird ein Blendschutz eingebaut. Die Brücke steht auf einer Höhe von 4,70 Metern über der Bundesstraße.
Insgesamt wird es an der Anschlussstelle Wendlingen fünf Eisenbahnbrücken und drei Straßenbrücken geben. Dazu kommen neun Stützbauwerke und ein Trogbauwerk. Die Länge des Straßenumbaus umfasst nach den Worten von Jan Dambach, stellvertretender Kommunikationschef des Bahnprojekts Stuttgart-Ulm, insgesamt 3000 Meter. Die Arbeiten an dem Verkehrsknotenpunkt zwischen Autobahn und Bundesstraße werden in fünf Umbauphasen realisiert.