Für den Festakt in der Zipfelbachhalle hatte Wilhelm Braun gründlich vorgearbeitet: Nicht nur die Geschichte der letzten 50 Jahre, also seit der Eingemeindung nach Weilheim, hatte er parat, sondern er begann mit der Urbevölkerung in der Gegend vor 15.034 Jahren. Wie er auf diese Zahl komme? Ganz einfach: Im April 1988 habe der bekannte Historiker Gerhard Raff aus Stuttgart-Degerloch in der Stuttgarter Zeitung einen Bericht geschrieben und den Nachweis von Menschen vor 15.000 Jahren belegt. Seither seien schon wieder 34 Jahre vergangen.
Wenn der Lehrer Christoph Bizer aus Lenningen auf dem Braunfirst rund 150.000 Pfeilspitzen, Schaber, Bohrer und Stichel gefunden habe, lasse das auf 200 bis 300 Steinzeitmenschen schließen. Da es aber in ganz Süddeutschland zu dieser Zeit nur etwa 500 Menschen gegeben habe, müsse das heutige Hepsisau quasi die Hauptstadt vom heutigen Baden-Württemberg gewesen sein.
Lassen wir diese humorigen Ausführungen einmal so stehen und wenden uns den heutigen Zahlenverhältnissen zu: Mit rund 770 Einwohnern brachte Hepsisau beim Festakt einen stattlichen Männerchor mit über 20 Sängern auf die Bühne. Wer mag, möge dieses Verhältnis einmal auf eine Stadt wie Kirchheim hochrechnen, das Sängerergebnis wäre vierstellig. Ihr leidenden Chöre auf Männerstimmensuche, schaut auf diesen Ort: Wie machen die das?
Wilhelm Braun machte nicht minder launig weiter: Von 1538 an, also kurz nach der Reformation, kam an Sonn- und Feiertagen der Weilheimer Diakon zum Predigen nach Hepsisau. Für die Anreise brauchte er ein Reitpferd. Dafür mussten die Hepsisauer einen Reitsattel und jährlich Heu, Hafer und Stroh bereitstellen. So eine Predigt ist schon etwas wert.
Immer wieder gab es Streit, wie die Einnahmen aus Gütern, Zinsen, Spenden und Opfern zwischen Weilheim und Hepsisau aufgeteilt werden sollten. 1536 genehmigte Herzog Ulrich von Württemberg dem Dorf die Trennung vom Weilheimer Armenkasten, der damaligen Sozialkasse. Zwei Jahrhunderte später gab es erneut Knatsch: Taufen, Hochzeiten und Konfirmationen hab es schon im Ort, aber die Toten mussten nach Weilheim gebracht werden. Das war für die Weilheimer von finanziellem Vorteil. Die Hepsisauer wehrten sich, Herzog Carl Eugen fand einen faulen Kompromiss: Die Hepisauer bekamen einen eigenen Friedhof, aber das Opfer bei Beerdigungen sollte weiterhin nach Weilheim gehen. Doch die Hepsisauer zahlten nicht mehr. Bis Weilheim das schließlich akzeptierte, brauchte es einen Jahr Streit, zähe Verhandlungen und einen erneuten Eingriff des Herzogs.
Von der Molkerei bis zum Kolonialwarenladen
Kaum zu glauben, was es laut Wilhelm Braun im Hepsisau des 20. Jahrhunderts alles gab: Vier Gastwirtschaften, eine Molkerei, eine Bank, eine Metzgerei, zwei Kolonialwarenläden, zwei Schuhmacher, Schmied und Schneider. Heute ist sich Hepsisau seiner Abhängigkeit sehr wohl bewusst: „Es würde hier keine Straßenlaterne brennen, wenn es Weilheim nicht gäbe“, sagte der Ortsvorsteher Bernhard Heitz. Dennoch habe sich Hepsisau Nischen erhalten, wie das Backhaus, das bei jüngeren Leuten wieder populär sei. „Hepsisau ist selbstbewusst, und Weilheim lässt es uns sein.“
Was für alle, die heute 50 oder sogar 60 Jahre alt sind, längst selbstverständlich sei, sagte Bürgermeister Johannes Züfle, sei damals ein heißes Eisen gewesen: „Die kommunale Selbstständigkeit gibt man nur einmal auf.“ Johannes Züfle erinnerte an das eindeutige Ergebnis der damaligen Abstimmungen: 78 Prozent Ja-Stimmen bei einer Bürgeranhörung, ein Verhältnis im Gemeinderat von 7 zu 2. „Wer hätte gedacht, dass man sich nach 50 Jahren so gut arrangiert hat? Sich kennengelernt und schätzen gelernt hat?“ Was dem Bürgermeister heute Sorgen macht, ist nicht Hepisau: Es ist der „Bürokraten-Staat“, der so „aufgebläht“ sei, dass die bestehenden Kommunen das womöglich bald gar nicht mehr leisten könnten.
Pfarrerin Ute Stolz gab den Zuhörern den Rat mit, nicht im Konjunktiv zu denken. Was im Leben nicht tatsächlich passiert sei, lasse sich nie richtig einschätzen. „Wäre Hepsisau besser selbstständig geblieben? Wir wissen es nicht.“
Ein spontanes Grußwort
Auch Weilheims Alt-Bürgermeister Hermann Bauer war unter den Zuhörern. 36 Jahre stand er an der Spitze der Weilheimer Stadtverwaltung. Die Eingemeindung hatten die Hepsisauer noch mit seinem Vorgänger Georg Kandenwein verhandelt, als in Weilheim schon der heiße Wahlkampf tobte. Herman Bauer galt als aussichtsreicher Kandidat – würde er sich nach einem Wahlsieg an das halten, was sein Vorgänger versprochen hatte?
„Ich habe mir den Vertrag angesehen“, sagte Hermann Bauer in einem kurzen, spontanen Grußwort. „Neuer Kindergarten, Schule, wir haben alles gemacht.“ Doch in einem sei man abgewichen, aus heutiger Sicht zum Glück: Statt den Zipfelbach wie versprochen zu verdolen, wurde er mit einer Sandsteinmauer offen gestaltet. „Andere Gemeinden gehen heute die Renaturierung an, wir müssen das nicht.“ Die Stadt habe alles eingehalten, was die Hepsisauer Ortsverwaltung beschlossen habe. „Das liegt daran, dass die Hepsisauer immer bescheiden und vernünftig waren.“ pd