Das ewige Klagelied kann er nicht mehr hören. Dieses ständige Jammern über Kirchenaustritte, Religion im Abseits, Finanzmisere und nachlassendes Interesse an religiösen Fragen geht Peter Brändle auf die Nerven. In der Kirchengemeinde Wendlingen gebe es immerhin 4 600 evangelische Christen, die er zusammen mit zwei Kollegen und einer Diakonin betreut. Diese Zahl macht ihm Mut.
Pfarrer ist er seit 26 Jahren gerne, mit Leidenschaft, Leib und Seele. Doch nach einer langen seelsorgerischen Phase in verschiedenen Gemeinden wollte er raus und arbeitete in der freien Wirtschaft. Seit 2020 ist wieder im geliebten Job zurück und als Pfarrer in Wendlingen tätig. Durch seinen Ausflug ins andere Arbeitsleben, sagt der 54-Jährige, habe er aber auch „die Situation von ganz normalen Menschen am eigenen Leib erlebt“. Das hilft ihm nun.
Ganz gendergerecht ist das zwar nicht. Aber wahr, sagt Peter Brändle. Für Frauen gibt es seiner Ansicht nach mehr kirchliche Angebote als für Männer. Diese will er abholen, wo sie sind. Ihre Sprache sprechen. Als Männerpfarrer setzt er das um. Jeder Seelsorger, sagt er, sollte nach dem Wunsch der Landeskirche neben der Pfarrtätigkeit ein weiteres Bezirksamt übernehmen. Er war zuvor in Pliezhausen, in Reutlingen-Mittelstadt und Weilheim für die Männerarbeit zuständig.
Corona erschwerte den Start in Wendlingen. Einen Männergottesdienst konnte er am 17. Oktober trotz Pandemie auf die Beine stellen. Ansonsten hatte er immer einen Männerstammtisch, eine Tafelrunde oder Vortragsabende für sein Klientel organisiert. Natürlich konnte Sport ein Thema sein. Aber eben nur am Rande. Referenten brauchten verschiedene Blickpunkte in die Veranstaltung, Diskussionsstoff war immer gegeben: „Viele Frauen sagten, das seien so coole Themen, da wären wir auch gerne dabei.“ Doch die geschlechtsspezifische Einengung des Teilnehmerfeldes hält er für sinnvoll. Es sei wichtig, sich zu treffen, zu reden, auszutauschen: „Männer reden anders, wenn sie unter sich sind.“
Peter Brändle ist ein Pfarrer für alle. Doch das Bibelzitat „Das Weib schweige in der Gemeinde“ möchte er nicht nur aus frauenrechtlicher Sicht ergänzen: „Frauen und Männer sollten in der Kirche sprechen.“ Er setzt auf das neue Gemeindezentrum, das im Mai 2022 in Wendlingen fertiggestellt sein soll. Weinproben, Kochkurse und Referentenbeiträge schweben ihm als Veranstaltungen vor. Das Projekt „Kirche auf dem Markt“ möchte er weiter vorantreiben und dann auf dem Wochenmarkt mit Menschen ins Gespräch kommen. Mit Männern und Frauen.
Wo die Fäden zusammenlaufen
Zur Person Peter Brändle wurde 1967 in Nürtingen geboren und wuchs im oberschwäbischen Wilhelmsdorf auf. Er studierte Theologie in Tübingen, Edinburgh und Bochum, absolvierte sein Vikariat in Rottweil und war ab 1995 in verschiedenen Gemeinden als Pfarrer tätig. Dann schob er eine fünfjährige Auszeit ein und arbeitete in der freien Wirtschaft. Seit 2020 ist er in den geliebten Beruf zurückgekehrt und Seelsorger in Wendlingen. Peter Brändle ist geschieden und Vater von drei Kindern.
Das Amt Peter Brändle ist geschäftsführender Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde in Wendlingen. In der Stadt gibt es drei Pfarrstellen, in seine Zuständigkeit fällt das Pfarramt Nord. Wichtig ist Brändle dabei: „Ich bin nicht der Vorgesetzte meiner Pfarrkollegen – bei mir laufen nur die Fäden zusammen.“ Nach der Fusion der beiden evangelischen Kirchengemeinden aus Wendlingen und Unterboihingen im Jahr 2012 hatten sich die Verantwortlichen zunächst auf dieses Konstrukt geeinigt. Von 2024 an wird eine Pfarrstelle wegfallen. Die Zuständigkeitsbereiche sollen dann neu aufgeteilt werden. sw