Lenninger Tal
Ein Tiny House auf Rädern

Projekt In anderthalb Jahren hat Manuel ​Ehni aus Gutenberg einen Bus zu einem Wohnmobil umgebaut. Die Einrichtung mit Garage fürs Fahrrad, Regendusche, Backofen und Spülmaschine stellt manche Ferienwohnung in den Schatten. Von Anke Kirsammer

Die einen träumen vom Wohnmobil, andere vom Tiny House. Manuel Ehni hat sich den Traum vom rollenden Tiny House verwirklicht. Stolz wie Bolle zieht der 23-Jährige an dem riesigen Lenkrad und lässt nach dem Ortsschild von Gutenberg die Blumenwiesen an sich vorbei fliegen. Hinter dem kleingemusterten, ziemlich retro wirkenden Fahrersitz tut sich eine stylische Einrichtung auf: Hüben und drüben gepolsterte Bänke, die dazu einladen, die Beine hochzulegen, dahinter eine Küchenzeile mit einer Ausstattung, die manch Ferienwohnung toppt: Mit auf Tour gehen eine Spülmaschine und ein Backofen. Auf 25 Quadratmetern versammeln sich zudem ein Bad mit Regendusche und moderner Waschschüssel, eine separate Toi­lette, ein zwei auf 2,20 Meter großes Bett und eine kleine „Garage“. Problemlos können hier hochkant Fahrräder mitreisen. Ist der kleine Tisch abgeklappt, hätte in dem geräumigen Fahrzeug locker auch ein Moped Platz.

 

Es gab viele Zweifler,
und ich selbst habe
zwischendurch am
meisten gezweifelt, dass
der Bus je fertig wird.
Manuel Ehni

 

Der Gutenberger kann kaum fassen, dass sein Traum nun Realität ist. „Es gab viele Zweifler, und ich selbst habe zwischendurch am meisten daran gezweifelt, dass der Bus jemals fertig wird“, sagt er, bevor er wieder auf den Hof einbiegt und sich die Türen zischend öffnen. Unzählige Stunden Arbeit stecken in dem Projekt, das ihn und viele seiner Kumpels die vergangenen anderthalb Jahre in Beschlag genommen hat und alte Freundschaften aufleben ließ. Besser hätte er die Corona-Zeit gar nicht nutzen können. Das steht für ihn fest.

Bitte einsteigen! Dass es sich einst um einen Linienbus handelte, ist noch gut zu erkennen. Foto: Carsten Riedl

Dank der Fahrzeughalle seines Opas konnte selbst im tiefsten Winter im Trockenen gewerkelt werden. „Wir haben die Scheibenwischer abmontiert, dann ging sogar das Tor zu“, sagt Manuel Ehni lachend.
„Oft habe ich nachts bis um 1 am Bus geschafft und morgens um 6 bin ich wieder zur Arbeit gegangen“, so der gelernte Landschaftsgärtner. Um sich seinem Vorhaben noch intensiver widmen zu können, kündigte er Ende 2021. Seitdem übt er nur noch seinen Nebenjob aus und erledigt in den Gärten von Kunden kleinere Pflegearbeiten. „Die Pause, die sich andere zwischen Abi und Studium gönnen, mache ich eben jetzt“, sagt er achselzuckend. Schon als Schüler hatte er immer irgendwo gejobbt. „Das Busprojekt war zum ersten Mal etwas, was ich für mich gemacht habe“, betont er. Anpacken, sich mit Leuten treffen – das ist sein Ding. Instagram und Tiktok bezeichnet er als Pa­rallelwelten. Er ist auf keiner dieser sozialen Medien unterwegs.

Auf Ebay Kleinanzeigen fündig geworden

Bei Ebay Kleinanzeigen stieß der Gutenberger vor anderthalb Jahren bei einem Händler in Gotha auf den stattlichen Mercedes-Benz O 405, der für 92 Fahr­gäste zugelassen war und lange für die Stadtwerke Frankfurt zwischen Wolkenkratzern tourte. Mit seinen großformatigen Scheiben sieht er auf den ersten Blick nach wie vor aus wie ein Linienbus. Zuletzt leistete das Fahrzeug dem Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) in der Mainmetropole bei der Versorgung Kranker oder Verletzter gute Diens­te. Die einst mit neon­orange­farbenen Streifen abgesetzte weiße Außenhaut ist nach Manuel Ehnis Geschmack unter einem kräftigen roten Lack verschwunden. An seine Vergangenheit erinnern noch ein kaum erkennbarer Schriftzug des ASB und Strahler, mit denen sich etwa Unfallstellen großflächig ausleuchten ließen. „Die kann ich nur anmachen, wenn der Bus steht“, erklärt Manuel Ehni. Das ist eine von zahlreichen Auflagen, die der TÜV machte, bevor das H-Kennzeichen angeschraubt werden durfte.

"Schlimmer als ein Hausbau“

Ein bisschen schleifen, lackieren und den Innenausbau bewerkstelligen. So hatte sich der mit langen Haaren und Schildmütze locker daherkommende junge Mann sein Projekt vorgestellt. Doch 35 Jahre und 550 000 Kilometer hatten dem Bus so zugesetzt, dass selbst tragende Teile komplett durchgerostet waren. Um ein Ausbeinen führte kein Weg vorbei. Rohre mussten ersetzt, viele Schweißarbeiten erledigt und der ganze Bus von Grund auf neu aufgebaut werden. „Ich habe in den anderthalb Jahren so viel gelernt, wie das sonst nirgends möglich gewesen wäre.“ Davon ist Manuel Ehni überzeugt. Glücklicherweise gab es immer irgend einen unter seinen Freunden, der sich mit einem der Gewerke auskannte. „Schlimmer als ein Hausbau“, lautet der trockene Kommentar seines Vaters, der das Organisieren des Materials übernahm.

Nach den Arbeiten an der Karosserie ging es für fünf Monate an den aufwendigen Innenausbau. „Egal, was ich gekauft habe und einbauen wollte, es hat nichts auf Anhieb gepasst“, so beschreibt Manuel Ehni eine Herausforderung. Also war Improvisieren angesagt. Das Highlight ist für ihn der im klassischen römischen Verbund verlegte Travertinboden – helle Natursteinfliesen, mit denen er schon häufig Terrassen veredelt hat. Allen Unkenrufen zum Trotz nahm er auch diese Hürde. Mit bedacht werden musste, dass sich der Boden des gut elf Meter langen Fahrzeugs unterwegs verwindet. „Ich habe mich zwei Wochen eingelesen, dann wusste ich, wie es geht“, so der Tüftler. Ein spezielles Klebesystem mit Epoxitharzfugen waren des Rätsels Lösung.

 

Das Fahren ist total
unspektakulär und
trotzdem einfach schön.
Manuel Ehni

Bei anderen Arbeiten ging es vor allem um die Optik: So hat das Holz seine dunkle Oberfläche in mehreren Schritten durch Abflammen und Bürsten bekommen. Innenliegende Rollläden, ein paar Grünpflanzen und eine indirekte Beleuchtung – richtig gemütlich hat Manuel Ehni das mega Wohnmobil eingerichtet. Seine Schwester hat inzwischen noch Vorhänge genäht. „Ganz fertig ist man da nie“, meint er. Auch die Ideen gehen ihm nicht aus. Cool fände er, nach Absprache mit dem TÜV noch eine Reling für eine Dachterrasse zu montieren.

Manuel Ehnis rollendes Tiny House bietet eine fabelhafte Rundumsicht. Foto: Carsten Riedl

Und was sind seine Pläne mit dem Bus? „Das eine oder andere Festival nehmen wir mit“, sagt er. „Dann haben auch meine Kumpel was davon.“ Eine Übernachtung auf der Alb hat er bereits hinter sich. In einem zweiwöchigen Urlaub am Bodensee prüft er das Fahrzeug derzeit auf seine Alltagstauglichkeit. Auch angesichts des hohen Spritverbrauchs von 35 Litern auf 100 Kilometer träumt er weniger davon, mit dem Bus groß auf Tour zu gehen. „Ich bin weder ein Lebemann noch ein planloser Weltenbummler“, meint er. Vielmehr kann er sich vorstellen, zu studieren und in dem mobilen Tiny House zu wohnen, das für ihn ein „vollwertiges Häuschen“ ist. Dann werden wohl selbst die verstummen, die in dem außergewöhnlichen Busprojekt einen reinen Spleen sahen.