Ich zittere jedes Jahr, ob wir die Schulbegleiterin wieder genehmigt bekommen“, sagt Julius’ Mutter. Julius ist sieben und sitzt im Rollstuhl. Für ihn und andere Kinder mit Behinderung gibt es die Möglichkeit, im Rahmen der „Leistungen zur Teilhabe an Bildung“ eine Schulbegleitung zu beantragen. Diese ermöglicht den Besuch einer Regelschule oder unterstützt bei besonders hohem individuellen Bedarf an einem Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum.
Die Unterstützung durch die Schulbegleitung ist also abgestimmt auf die jeweiligen Bedürfnisse der Schülerin oder des Schülers. Sie muss von den Eltern beim Landratsamt beantragt werden. Als ein möglicher Leistungserbringer im Trägerverbund ist die Lebenshilfe Kirchheim dann zuständig für die Suche und die Einstellung einer passenden Schulbegleitung.
Gabi trägt den Schulranzen
Fürs aktuelle Schuljahr kann Julius’ Mutter aufatmen: Ihr Sohn wird morgens wie gewohnt von zu Hause von seiner Schulbegleiterin Gabi Szlatki abgeholt und nach dem Unterricht in der Kirchheimer Konrad-Widerholt-Grundschule nach Hause gebracht. „Auf dem Weg zur Schule holen wir einen Freund ab. Gabi trägt meinen Schulranzen und sitzt im Klassenzimmer direkt hinter mir. Wenn ich etwas brauche, muss ich nur den Kopf drehen“, erzählt Julius. Wenn auf dem Schulweg oder im Schulgebäude Gegenstände den Weg verstellen, die Jacke an- und ausgezogen werden muss, Sachen runterfallen, Tische gerückt werden müssen, damit Julius mit seinem Rollstuhl zur Tafel kommt, dann ist die Schulbegleiterin zur Stelle. Beim Anlegen einer Orthese gibt die 42-Jährige ebenfalls Hilfestellung. Damit kann Julius für eine Weile aufrecht stehen und ein Beintraining absolvieren.
„Es ist ein großes Geschenk, dass seine Klassenkameraden keine Berührungsängste haben und helfen, wenn nötig. So wird sogar gemeinsam Tischtennis in der Pause gespielt“, weiß die Mutter. Als sich ein Mädchen den Knöchel verstauchte, setzte sie sich auf Julius’ Schoß und er spielte Taxi. „Er kann sich gut einschätzen und ist allen Kindern gegenüber sehr offen“, sagt Gabi Szlatki. Sie ist für die Mutter des Siebenjährigen ein Glücksfall: „Es muss ja zwischen allen Beteiligten harmonieren. Vor allem auch mit den Lehrern. Ohne eine Vertrauensbasis ist das nicht machbar.“ Szlatki ergänzt: „Man greift ja teilweise in den Unterricht ein.“ Wenn andere Kinder mit Problemen kämen, müsse sie abwägen: „Wo darf ich mich einmischen und was ist Aufgabe der Lehrer? Manchmal ist das eine Gratwanderung.“ Aufgaben und Verantwortlichkeiten müssten deshalb klar geregelt sein. Auch hier unterstützt die Lebenshilfe mit regelmäßigen Austauschrunden mit allen Beteiligten. Zum Glück komme vom Lehrerkollegium ein positives Feedback. Die Schulbegleiterin zeigt sich begeistert von ihrem Job: „Als Erzieherin kam ich aus einem Ganztagskindergarten mit 25 Mädchen und Jungen. Jetzt bin ich froh, mich um ein Kind kümmern zu dürfen. Ein toller Beitrag zur Inklusion.“
Guter Start in kleiner Dorfschule
„In den ersten drei Jahren saß Maria direkt neben mir. Jetzt sitzt sie ganz hinten. Ich muss mich ja daran gewöhnen, dass sie im nächsten Schuljahr nicht mehr bei mir ist.“ Die zehnjährige Carla freut sich sichtlich auf den Wechsel ins Kirchheimer Schlossgymnasium. Dass sie das als Kind mit einer Hörminderung so gut schafft, daran hat Maria del Mar Gallardo großen Anteil. Die 51-Jährige war während der ersten vier Jahre Carlas Schulbegleiterin in der Grundschule Ohmden. Sie half der jungen Schülerin, den Übergang vom Kindergarten zur Grundschule erfolgreich zu meistern. Und sich, obwohl es in der Klasse auch mal laut und unruhig zuging, gut zurechtzufinden. Dabei bat sie Lehrerinnen und Lehrer darum, deutlicher oder lauter zu sprechen, griff ein, wenn Carla die Pausenglocke oder eine Ansprache nicht hörte.
Sie motivierte ihren Schützling und unterstützte beim Einsatz der FM-Anlage, einer Übertragungsanlage für Menschen mit Höreinschränkung, dank der Carla nur den Lehrer oder die Lehrerin hörte. Carlas Mutter weiß, dass ihre Tochter mit dem Gerät sehr gut zurechtkam, aber auch, dass das Hören auf diese Art sehr anstrengend ist. Auch hier achtete die Schulbegleiterin darauf, dass Carla Hörpausen machen durfte. Künftig soll es ohne gehen: „Wir und sie wollen so viel Normalität wie möglich.“
Carla freut sich sehr, dass aus ihrer Klasse jetzt viele Mädchen mit aufs Gymnasium gehen. Alle kennen sich seit dem Kindergarten, und mit ihren ClS (einem Implantat) ist Carla ein Mädchen, das dank dieser „Zauberohren“ wie andere auch Interesse hat an Ballett, Tanzen und sich mit Freundinnen zu treffen.
Carla war perfekt integriert
All das verdanken Carla und ihre Familie nicht zuletzt der kleinen Grundschule Ohmden mit rund 70 Schülerinnen und Schülern und zehn Lehrkräften. Angesagt sind dort jahrgangsübergreifendes Arbeiten, individuelles Lernen und das Prinzip der offenen Klassenzimmer. „Die Schule war für sie perfekt. Eingebaut wurde sogar eine Schallschutzdecke. Die war nötig, kommt aber allen zugute. Carla war perfekt integriert und hat in ihrer Entwicklung einen großen Sprung nach vorn gemacht“, schwärmt Maria del Mar Gallardo von der Zehnjährigen. Dass sie selbst an der Schule die Leiterin der Kernzeitbetreuung ist, kam als Plus hinzu. „Die Eltern und das Lehrerkollegium waren auf mich zugekommen mit der Bitte, mich als Schulbegleiterin um Carla zu kümmern.“ Da diese zwölf Stunden in ihren wöchentlichen Alltag passten und sie das Mädchen von klein auf kannte, übernahm sie die Aufgabe gern. Sie, Gabi Szlatki sowie die beiden Mütter raten anderen Familien, sich im Bedarfsfall frühzeitig um eine Schulbegleitung zu kümmern.

