Die erste Reise wenige Tage nach ihrer triumphalen Durchquerung des Ärmelkanals am 6. August 1926 führte die Deutsch-Amerikanerin Gertrude Ederle nach Bissingen. Denn ihr nach New York ausgewanderter Vater Henry stammte aus der Seegemeinde. Als Kind soll die kleine Trudy sogar im „Sai“ das Schwimmen gelernt haben. Die Augsburger Autorin Anne-Kathrin Kilg-Meyer hat ein Buch über die Schwimmheldin geschrieben, die als erste Frau der Welt den Ärmelkanal durchschwamm. Und nicht nur das: Die damals 20-jährige Trudy legte die Strecke vom französischen Cap Gris-Nez nach Dover in 14:32 Stunden zurück und unterbot damit auch den Weltrekord um zwei Stunden, den bis dato ein Mann hielt. Dabei hatten die Wettbüros damals fünf zu eins dagegen gewettet, dass sie überhaupt das Ufer erreicht. Trudy Ederle setzte mit ihrer „Heldinnentat“ damals einen Meilenstein der Emanzipation.
All das und noch viel mehr ist in dem Buch nachzulesen, das kürzlich im Verlag Eriks Buchregal erschienen ist: „Gertrude Ederle: Eine Schwimmerin verändert die Welt“. Die Autorin war eher zufällig auf die Geschichte der schwäbisch-amerikanischen Schwimm-Heldin gestoßen und war gleich gefesselt. „Sie war eine außergewöhnliche Frau“, sagt sie. Es waren Trudys Zielstrebigkeit und Zähigkeit, oft auch gegen ihren eigenen Körper, die Kathrin Kilg-Meyer faszinierten. „Keiner darf mich aus dem Wasser nehmen, es sei denn, ich selbst wünsche es“, flehte sie ihren Vater Henry schon Tage vor ihrem Start an. Die Sorge war nicht unberechtigt. Trudy Ederle, die 1924 in Paris mit der US-Schwimmstaffel Olympiasiegerin geworden war, hatte ein Jahr zuvor aufgeben müssen. Allerdings hatte man sie gegen ihren Willen aus dem Wasser geholt, weil man dachte, dass sie ohnmächtig geworden sei. Mit dem zweiten Versuch konnte sie dann einen Triumph feiern.
Was damals für die Region Kirchheim eine Sensation gewesen sein musste, war Trudys Bissingen-Reise unmittelbar nach dem Triumph. Mehr als 30 000 Menschen bejubelten sie bei ihrer Ankunft in Stuttgart. Interviews durfte sie aber nicht geben, denn eine amerikanische Zeitung hatte sich die Exklusivrechte gesichert. Den Menschen vor Ort war es egal: In Bissingen schloss die Großmutter ihre Enkelin, die nur ein schwäbisch-amerikanisches Kauderwelsch sprechen konnte, in die Arme. Es gab schwäbische Maultaschen und die Star-Schwimmerin ging sogar in den Bissinger See, um unter dem Jubel hunderter Zuschauer mehrere Bahnen gegen lokale männliche Prominenz zu schwimmen - und natürlich haushoch zu gewinnen.
Nach einigen Tagen ging es über Paris nach Cherbourg, wo sie mit dem Schiff in ihre Heimatstadt New York zurückkehrte und dort triumphal empfangen wurde. Kilg-Meyer findet in den Archiven eine heute schwer vorstellbare Zahl: „Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass zwei Millionen Menschen einer einzigen Sportlerin zugejubelt haben“, sagt sie.
Idol einer Generation
Trudy wurde zum Star und Idol einer Generation junger, selbstbewusster Frauen. Persönlich hatte sie jedoch mit einem Schicksalsschlag zu kämpfen, der ihr Leben ebenfalls prägte. Seit ihrem fünften Lebensjahr litt sie unter einem Gehörschaden, der sich durch die Dauerbelastung durch das Salzwasser während der Kanaldurchquerung noch verschlimmert hatte. Obwohl sie mit ihrer athletischen Figur und ihrem modischen Bob dem neuen Schönheitsideal der Zeit entsprach, hatte sie kein Glück mit Männern. Eine Beziehung endete nach kurzer Zeit wieder, wohl auch wegen ihrer Schwerhörigkeit, wie Anne-Kathrin Kilg-Meyer schreibt. Es kam noch schlimmer: Nach einem Treppensturz war sie auf den Rollstuhl angewiesen und musste sich mühsam wieder ihre Fitness erkämpfen. „Sie schaffte es sogar, wieder zu schwimmen“, bewundert Anne-Kathrin Kilg-Meyer ihre Roman-Heldin. Da kam er wieder zum Vorschein, Trudys unbändiger Wille.
Mit der Veröffentlichung ihrer Geschichte hat die Augsburger Autorin ein glückliches Händchen: Im November soll die Geschichte der Wunderschwimmerin Trudy sogar ins Kino kommen. Star-Produzent Jerry Bruckheimer hat sich des Stoffes angenommen, und die Hautprolle in „Young Woman and the Sea“ spielt Hollywood-Star Lily James. Man darf gespannt sein, ob auch Bissingen und der „Sai“ in dem Hollywood-Streifen eine Rolle spielen.
Info Das Buch „Getrude Trudy Ederle - Eine Schwimmerin verändert die Welt“ von Anne-Kathrin Kilg-Meyer ist im Verlag Eriks Buchregal erschienen und hat 127 Seiten.