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Ein weltweit gefragter Experte an der Orgel

Kirchenmusik Christian Reichel ist seit 54 Jahren Organist der evangelischen Martinskirche in Hochdorf. Zudem ist der 73-Jährige Orgelbaumeister. Sein Fachwissen ist bis heute im In- und Ausland gefragt. Von Katja Eisenhardt

Seit Juli 1969 spielt Christian Reichel die Orgel in der Hochdorfer Martinskirche. Als er anfing, war er gerade einmal 19 Jahre alt. Seine Frau Marieluise Reichel ist fast ebenso lange für die Kirchengemeinde tätig, seit über 40 Jahren ist sie die Mesnerin. Ans Aufhören denkt Chris­tian Reichel, der im Hauptberuf neben seiner Ausbildung zum Organisten das Handwerk des Orgelbaumeisters erlernt hat, auch nach 54 Jahren noch nicht. „Solange ich gesund bin, mache ich weiter. Vielleicht trete ich ein wenig kürzer und bin nicht mehr jeden Sonntag im Einsatz“, sagt der 73-Jährige. Sein musikalisches Können ist gefragt, gibt es doch nicht gerade ein Überangebot an Organisten in der Region. „Viele wollen sich nicht mehr fest binden, man ist eben immer sonntags im Einsatz“, weiß Reichel. Wenn er selbst andere Termine habe oder auf Montage sei, gebe es zumindest einen kleinen Pool an Kollegen aus den Nachbargemeinden, die dann einspringen.

 

Ich hatte über meinen Vater schon immer einen Bezug zur Orgelmusik.
Christian Reichel, Organist und Orgelbaumeister

 

1960 ist er mit seinen Eltern von Chemnitz nach Hochdorf gezogen. Seine Ausbildung zum Organisten begann Christian Reichel fünf Jahre später in Esslingen. Der damalige Hochdorfer Pfarrer hatte ihn, der als Jugendlicher zunächst das Klavierspielen lernte, dazu ermuntert. „Ich hatte über meinen Vater schon immer einen Bezug zur Orgelmusik, er hat sie gerne angehört. Dazu war er als Elektro­meister für Reparaturen und Wartungsarbeiten an Orgeln im Einsatz“, erzählt Reichel von den frühen Berührungspunkten zum besonderen Instrument. Der Orgelbau selbst habe ihn aufgrund seiner Vielseitigkeit schon immer fasziniert. So zählen neben dem Schreinerhandwerk auch die Elektrik und die Zinngießerei zu den Arbeitsbereichen. Er habe bereits als Kind immer alles auseinandergebaut und wissen wollen, wie etwas funktioniert, erklärt er und lacht. „1967 habe ich meine Ausbildung bei der Firma Weigle in Echterdingen und an der Musikinstrumentenfachschule in Ludwigsburg begonnen. Das ist deutschlandweit die Fachschule, die alle besuchen“, erzählt Christian Reichel, der zudem den Meister im Orgelbau gemacht hat. Nach der Ausbildung arbeitete er zunächst in Echterdingen und war für das Unternehmen deutschlandweit im Einsatz. Von 1986 bis zum Ruhestand 2015 hatte er schließlich als selbstständiger Orgelbaumeister seine eigene Werkstatt in Hochdorf.

Regelmäßig in Hongkong

So ganz in den Ruhestand verabschiedet hat sich der 73-Jährige bis heute auch beim Orgelbau noch nicht. „Ich bin immer noch für Wartungen und Reparaturen in Württemberg und dem Ausland unterwegs, nur meine Werkstatt habe ich nicht mehr. Ich möchte ja meine alten Kunden nicht im Stich lassen“, sagt Reichel. Fachleute wie er sind nicht nur in der Region, sondern weltweit gefragt. So führen ihn Reparaturen sowohl in die Kirchen der Umgebung, darunter die Stadtkirche in Esslingen, als auch regelmäßig nach Hongkong. 2012 hat er für eine dortige Kirche eine Orgel gebaut. In den 1990er-Jahren war er zudem häufig in Japan und Taiwan im Einsatz: „Das Christentum macht dort einen sehr geringen Anteil aus, entsprechend gibt es keine wirkliche Orgeltradition und keine eigenen Orgelbauer. Die werden für die wenigen Kirchen aus dem Ausland geholt.“ Der Orgelbau sei eine Wissenschaft für sich, „jede Orgel ist anders und von ihrem Aufbau und ihrem Klang an die jeweilige Kirche angepasst“, weiß Reichel.

Form und Material der Pfeifen entscheiden über die Klangfarbe

Jene der Hochdorfer Martinskirche, die 1985 die Vorgängerorgel ersetzte, auf der Reichel seinen Dienst begonnen hatte, kennt er bis ins kleinste Detail. Auch wenn er sie nicht selbst gebaut hat. „Das wichtigste Element einer Orgel sind die Pfeifen. Bauform, Durchmesser und Material – die sogenannte Mensur – entscheiden über die Klangfarbe“, erklärt der Orgelbaumeister und Organist. Metallpfeifen, gefertigt aus einer Legierung aus Zinn und Blei, klingen heller, jene aus Holz dunkler: „In einer Orgel ist immer ein Mix aus beiden verbaut.“ Zwei Arten von Pfeifen, die Lippen- und die Zungenpfeifen (Labial- und Lingualpfeifen), werden im Orgelbau verwendet. So unterscheiden sich Register mit mittlerer Mensur (Prinzipalregister) von jenen mit weiter Mensur (Flötenregister) und solchen enger Mensur (Streicher). „Vereinfacht gesagt: lange Pfeifen klingen tief. Je kürzer sie sind, desto höher“, erläutert Reichel, „gedeckte Pfeifen klingen zudem eine Oktave tiefer, deren Lautstärke ist gedämpfter. Die Hochdorfer Orgel hat 1172 Pfeifen.“

Für das Spiel entwickle man mit der Zeit ein Gefühl, sodass es zum Gesang in den Gottesdiensten passe. Besondere Gottesdienste seien auch aus musikalischer Sicht sicherlich jene an Ostern und Weihnachten, sagt Christian Reichel, bestimmte Stücke würden nur zu diesen Festen gespielt.

Die Orgel

Instrument: Eine Orgel ist Blas- und Tasteninstrument zugleich. Zur Erzeugung eines Tons ist komprimierte Luft erforderlich, die die Pfeifen zum Klingen bringt. Der „Spieltisch“ ist der Arbeitsplatz des Organisten. Dort befinden sich die Klaviaturen für das Spiel mit Händen und Füßen (Pedale) sowie die Züge oder Schalter zum An- und Abschalten der einzelnen Register.

Register: Eine Pfeifenreihe in gleicher Bauart und Klangfarbe wird Register genannt. Ein Register hat in der Regel eine Pfeife pro Taste einer Klaviatur, gemischte Register verfügen über mehrere Pfeifen pro Taste. Jedes Manualregister hat bei einem Klaviaturumfang von 56 Tönen mindestens 56 Pfeifen, ein Pedalregister bei 30 Tönen mindestens 30 Pfeifen. Schon eine kleine Orgel mit vier Manualregistern hat wenigstens 224 einzelne Pfeifen, größere Orgeln mehrere Tausend.