Pflege
Eine 98-Jährige Weilheimerin tut, was sie kann

Die Weilheimer Rentnerin weiß genau, was sie möchte und was nicht: Sie möchte nicht ins Heim. Gleichzeitig tut sie alles, was in ihrer Macht steht, um ihren fünf Kindern nicht zur Last zu fallen. 

Eine Seniorin bekommt von ihrer Familie viel Unterstützung: Jetzt haben sie sich gemeinsam für die 24-Stunden-Pflege entschieden. Symbolfoto: adobe.stock.com

Alt werden ist nicht leicht. Die 98-jährige Seniorin ist seit wenigen Wochen nicht mehr alleine zu Hause. Jetzt lebt eine sogenannte 24-Stunden-Pflegerin bei ihr. Die Fünfzimmerwohnung, die im vierten Obergeschoss liegt, bietet genügend Platz für eine weitere Person. Wie die WG bisher funktioniert? „Na ja, so richtig an ihre Arbeitszeit hält sie sich nicht“, sagt die Dame mit dem freundlich-wachen Blick. Ihre Tochter muss bei der Bemerkung unwillkürlich die Mundwinkel nach oben ziehen. Die 98-Jährige möchte nicht etwa sagen, dass die Frau aus Litauen zu wenig arbeitet, sondern dass sie nun nicht mehr so viel Privatsphäre hat wie früher.

Umstellung braucht Zeit

Der in Nürtingen lebenden Tochter war klar, dass sich ihre Mutter nicht von heute auf morgen an die weitere Person in der Wohnung gewöhnt haben wird. Einen ers­ten Anlauf haben sie schon im vergangenen Sommer unternommen. Da hatte sich die 98-Jährige sehr unwohl gefühlt. „Ich habe gesagt: einmal und nie wieder.“

 

Ich habe gesagt: einmal und nie wieder.

Die 98-jährige Weilheimerin erzählt von ihren ers­ten Erfahrungen mit der 24-Stunden-Pflege.  

Heute sieht es die Rentnerin mit mehr Distanz: „Das war vielleicht auch einfach ein Prozess, den ich durchlaufen musste.“ Jetzt ist sie sehr glücklich darüber, dass sie dank der 24-Stunden-Pflege immer noch in ihrer eigenen Wohnung leben kann. Dort kennt sie sich aus und fühlt sich wohl. Mit den Veränderungen möchte sie sich arrangieren: „In der Küche mache ich gar nichts mehr. Das ist jetzt komplett ihre Aufgabe.“ Das sagt sie sachlich, dennoch schwingt etwas Wehmut in ihrer ruhigen Stimme mit. Es wird schnell klar: Sie möchte stark sein, sie möchte vernünftig sein – auch wenn es nicht leicht ist.

Irreführende Bezeichnung

Rosemarie Bühler vom Sozialen Netz Raum Weilheim erklärt: „Die Menschen kommen aus dem Ausland, sie kennen in der Regel vor Ort niemanden, sie haben kein soziales Umfeld.“ Sie hätten nicht viele Möglichkeiten, sich zu beschäftigen, deshalb seien sie meis­tens da. Die Tochter der 98-Jährigen ergänzt: Obwohl es 24-Stunden-Pflege heiße, handle es sich außerdem um keine Pflegefachkräfte, weshalb der Schwerpunkt eher in der Haushaltshilfe liege. Dennoch hätten die Menschen, so Rosemarie Bühler, natürlich ganz normale Arbeitszeiten. Der Begriff sei daher gleich in doppelter Weise irreführend – die Betreuungskräfte arbeiten nicht 24 Stunden, sondern so, wie es üblich sei: acht.

Bei ihrem letzten Sturz hat sich die Rentnerin den Oberschenkel gebrochen. Danach kam sie in die Kurzzeitpflege nach Dettingen und im Anschluss in die Reha nach Bad Urach. Das habe ihr sehr gutgetan. Sie sei körperlich und mental gestärkt gewesen. Aber deshalb kam für die 98-Jährige ein Heim noch weniger infrage: „Ich kann mir das einfach nicht vorstellen.“ Die Tochter erklärt: „Sie möchte Ansprechpartner, möchte nicht nur gepflegt werden und im Zimmer sitzen.“ Nachts könne sie auch noch alleine sein, was die Grundvoraussetzung für die 24-Stunden-Pflege sein, da die Helferinnen und Helfer natürlich Pausen brauchen. Wenn das mal nicht mehr gehe, sei das Heim die einzige Alternative. Jetzt sind sie aber erst einmal beruhigt, dass jemand da ist.

Altern gemeinsam meistern

Die 98-Jährige gibt sich große Mühe, um dafür zu sorgen, dass alles funktioniert. Schließlich möchte sie nicht, dass sich ihre Kinder rund um die Uhr um sie kümmern müssen. Ihre Tochter ist sichtlich gerührt, dass sich ihre Mutter trotz ihres hohen Alters noch um sie und ihre Geschwister kümmern möchte. Beim Gespräch über ihren letzten Sturz wird jedoch schnell klar, dass sie nicht mehr alleine leben kann. Denn: Zum einen erinnert sie sich nicht mehr an alles. Zum anderen kann sie sich nicht selbst helfen, wenn sie stürzt. Ihre Tochter erklärt: „Im Alter wird alles stumpf. So wie die Ohren und die Augen nachlassen, lässt eben auch der Geist nach. So ist das nun mal.“ Diese klaren und dennoch mitfühlenden Worte scheinen ihrer Mutter eine Last zu nehmen. Ganz nach dem Motto: Es ist okay, was passiert. Sie meistern das zusammen.

 

Das zahlt die Familie für die 24-Stunden-Pflege

Für die 24-Stunden-Pflege, so die Tochter, zahlt sie mehr als 3000 Euro im Monat. Das Pflegegeld belaufe sich aber lediglich auf 800 Euro. Günstiger als ein Platz im Heim sei das nicht. Sie rätselt darüber, wie dieses System auf Dauer funktionieren soll – irgendwann sei jedes Haus aufgebraucht.

Auch vor der 24-Stunden-Pflege war ihre Mutter nicht auf sich allein gestellt, sondern hatte bereits verschiedene Dienste in Anspruch genommen. So bekam sie jeden Tag Essen auf Rädern, eine Putzhilfe unterstützte sie, von der Diakonie kam einmal in der Woche jemand, der ihr beim Waschen half, und vom Sozialen Netz Raum Weilheim hatte sie verschiedene Angebote wahrgenommen. So kam etwa einmal in der Woche jemand, der mit ihr spazieren ging. „Hiervon konnte ich einiges über die Pflegekasse abrechnen“, sagt die Tochter. Das sei jetzt nicht mehr möglich, unter anderem, weil es sich bei den 24-Stunden-Helfern um keine ausgebildeten Pflegekräfte handle.

Die Pflegekasse würde nun durch den Wechsel zur 24-Stunden-Pflege sehr viel Geld sparen. Hätte ihre Mutter einen Heimplatz, würde die Pflegekasse wesentlich mehr zahlen und sie hätte deutlich weniger zu organisieren. Durch die jetzige Lösung übernehme sie selbst mehr Aufgaben, bekomme aber weniger Geld von der Pflegekasse. Hierin sieht die Nürtingerin eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung des ambulanten Bereichs. Ernüchtert fasst sie zusammen: „Würde das gerecht geregelt werden, würde das System wohl zusammenbrechen.“