Gemeinsam mit dem AT-Verband zur Förderung angepasster, sozial- und umweltverträglicher Technologien aus Stuttgart und den Universitäten Tübingen und Hohenheim hat Gebhard Warth ein Forschungsprojekt initiiert. Im Interview spricht er über die aktuellen Herausforderungen und Chancen im Zusammenhang mit Streuobstwiesen.
Herr Warth, was sind die markanten Merkmale von Streuobstwiesen?
Gebhard Warth: Ein besonderes Merkmal ist die Mehrfachnutzung der Fläche. In der Regel stehen die Bäume auf einer Streuobstwiese weit auseinander, sodass jeder Baum genug Platz und Licht zum Wachsen hat. Es sind kaum Düngemittel oder Pestizide nötig, denn das Ökosystem ist in sich stabil und reguliert sich selbst. Bereits seit 2000 Jahren gib es diese Form des Obstanbaus. Ohne entsprechende Pflege brechen die Bestände mit der Zeit zusammen.
Wodurch sind die Bestände auf den Wiesen besonders bedroht?
Warth: Zunächst haben wir die Folgen des Klimawandels, die sich auf den Streuobstwiesen zeigen. Beispielhaft dafür sind Dürreperioden, die sich durch hohe Temperaturen im Sommer und gleichzeitig ausbleibenden Niederschlägen ergeben. Solche Bedingungen können extreme Schäden an den Bäumen verursachen und im schlimmsten Fall zum Absterben führen. Der Klimawandel begünstigt außerdem das Eindringen von schädlichen Insekten, die die Bewirtschaftung erschweren. Zusätzlich zum Klimawandel sehen wir einen rückläufigen Trend im Interesse an der Bewirtschaftung. Die Bewirtschafter werden immer älter und es fehlt an Nachwuchs.
Warum halten Sie es für wichtig, Streuobstwiesen zu schützen?
Streuobstwiesen sind ein wertvolles Kulturgut direkt vor unserer Haustür. Diese wertvolle Anbauregion gilt es zu schützen. Sie prägen unsere Nachbarschaft und beherbergen eine Vielfalt an Obstsorten. Diese große Auswahl ist wichtig für den Klimawandel, denn bei den Sorten sind möglicherweise einige dabei, die gut mit den zukünftigen Bedingungen umgehen können. Zudem bieten Streuobstwiesen sehr wichtige Ökosystemdienstleistungen.
Wie profitiert die Natur von ihrer Existenz?
Grundsätzlich erst einmal durch die Vegetation an sich. Sie setzt Kohlenstoff um und dieser wird dann im Boden gespeichert. Die Bäume agieren zudem als Luftfilter und sind wichtige Sauerstoffproduzenten. Die Wurzeln durchdringen den Boden und ermöglichen es, Wasser effizienter aufzunehmen und zu speichern. Auch für die Tier- und Pflanzenwelt sind Streuobstwiesen wichtig. Sie zeichnen sich durch eine hohe Artenvielfalt aus und bieten Lebensraum für seltene Tier- und Pflanzenarten. Besonders Vögel profitieren von der Baumstruktur, die ein ideales Habitat zwischen Wald und Offenland darstellt.
Sie haben mit dem AT-Verband und der Uni das STIK-Projekt, kurz für Streuobstwiesen im Klimawandel, ins Leben gerufen. Welche Ziele verfolgen Sie damit?
Zunächst einmal ist es wichtig zu betonen, dass das Hauptziel des STIK-Projekts nicht darin besteht, Streuobstwiesen unmittelbar zu retten. Dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die über einen längeren Zeitraum erfolgen muss. Unser Ziel ist es vielmehr, ein tieferes Verständnis für das Streuobstwiesen-System zu entwickeln, besonders aus naturwissenschaftlicher und sozialökonomischer Perspektive.
Wie gehen Sie konkret vor?
Die Standorteignungsanalysen unserer Projektpartner an der Universität Hohenheim sollen zeigen, welche Standorte sich für den Streuobstanbau in Zukunft besser eignen als andere. Beispielsweise könnten südexponierte Hänge aufgrund der intensiven Sonneneinstrahlung im Zuge des Klimawandels zu heiß und trocken für den Obstanbau werden. Wir an der Universität konzentrieren uns auf Zustandsanalysen mittels Fernerkundungsverfahren. Dazu verwenden wir Drohnen- und Satellitenbilder, die uns wertvolle Informationen über den Zustand der Vegetation liefern. Die Stoffstromanalyse des AT-Verbands zeigt, welche Erträge zu erwarten sind und welche finanziellen Einnahmen erzielt werden können. Zudem haben wir in Zusammenarbeit mit der PR-Agentur Sympra eine Modellwiese mit verschiedenen Obstsorten neu bepflanzt. Ihre Entwicklung wird als Teil des Projekts beobachtet.
Das heißt, Sie haben den alten Baumbestand ersetzt? Warum?
Leider ist es häufig so, dass sich die alten Bäume in einem schlechten Allgemeinzustand befinden. Auf unserer Modellwiese waren vor allem Mistelbefall und Überalterung das Problem.
In der Zusammenarbeit mit Sympra wird das Thema Verwertung eine Rolle spielen. Welche Möglichkeiten sehen Sie hier?
Das ist ein wichtiger Aspekt, weil auch die sinnvolle Verwertung dazu beiträgt, wieder mehr Menschen für das Thema Streuobstwiese zu interessieren. Saftherstellung ist da nur ein Aspekt. Als Fruchtaufstriche, Fruchtmus oder Dörrobst werden die Früchte für einige Monate haltbar. Mit großen Mengen lässt sich etwa Apfelessig herstellen – übrigens ein echtes Allzweckmittel. Aber auch selbstgemachte Liköre sind leicht herzustellen und immer eine gute Geschenkidee.
Was hat Sie angetrieben, sich beim STIK-Projekt einzubringen?
Ich bin auf dem Land groß geworden, wo die Streuobstwiesen das Leben im Jahresverlauf stark beeinflusst haben. Es macht mir Freude, das weiterzuführen und Obstsorten anzubauen, die wir gut verarbeiten können. Praktische Erfahrungen mit dem wissenschaftlichen Ansatz des STIK-Projekts zu verknüpfen, halte ich für eine gewinnbringende Vorgehensweise, die für beide Seiten wichtige Erkenntnisse bringt.
Wie kann jeder Einzelne dazu beitragen, den Erhalt von Streuobstwiesen zu unterstützen?
Um den Erhalt von Streuobstwiesen zu unterstützen, sollte man beim Einkauf auf regionale Produkte achten und sicherstellen, dass die Herkunft nachvollziehbar ist. Darüber hinaus ist Aufklärung über die Vielfalt von Obstsorten und ihre natürlichen Variationen wichtig. Obst muss nicht makellos sein, um es genießen zu können. Ein Bewusstsein für die Wertschätzung und den Schutz dieser wertvollen Kulturlandschaften ist der erste Schritt zur Unterstützung ihres Erhalts. pm