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Eine Gemeinde trauert

Nachruf Neidlingens Ex-Rathauschef Klaus Däschler ist bei einem tragischen Autounfall ums Leben gekommen. Vielen bleibt er als Nazijäger, Bürgermeister und aufrechter Mensch in Erinnerung.

Neidlingen. Am Vormittag des 21. September fand das Leben von Klaus Däschler ein tragisches Ende. Der 61-Jährige war in Bayern auf der B16 bei Krumbach unterwegs, als er aus noch ungeklärter Ursache auf die Gegenspur kam und mit einem entgegenkommenden Lastwagen frontal zusammenstieß. Klaus Däschler verstarb noch an der Unfallstelle.

Däschler wurde 1961 in Kirchheim geboren. Von seinen 35 Jahren bei der Polizei arbeitete er 20 Jahre lang im Morddezernat, viereinhalb Jahre hat er in der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg nach NS-Kriegsverbrechern gefahndet. Nach diesen 35 Jahren Waffe, Dienstmarke und Ausweis abzugeben, war dem Kriminalhauptkommissar schwergefallen. Am 31. Oktober 2013 bewarb sich Klaus Däschler für die Wahl zum Bürgermeister in Neidlingen, als Herausforderer von Rolf Kammerlander. Zu dem Zeitpunkt war er schon ein rundes Jahrzehnt Neidlinger Gemeinderat. In Neidlingen lebte der Vater drei erwachsener Kinder schon viel länger, 1987 hatte er im Ort ein altes Bauernhaus gekauft und es selbst renoviert. Er wurde mit 58 Prozent der Stimmen gewählt und stand damit vor einem Neuanfang.

Über vieles, was er zuvor im Polizeidienst gelernt hatte, war Däschler froh. „Mit Menschen umgehen zu können, ist ein hohes Gut, auch als Bürgermeister.“ Bei der Polizei hatte Däschler viele Mörder vor sich gehabt, sein Schwerpunkt war die Vernehmung. „Man muss jedem seine Menschenwürde lassen, egal, was er getan hat“, war er überzeugt. „Wer getötet hat, das sitzt so tief drin, irgendwann will er das jemandem erzählen.“ Einer seiner „großen Fälle“ war der gewaltsame Tod der sechsjährigen Alexandra aus Filderstadt bei Stuttgart. „Da hatten wir 1200 bis 1400 Spuren“, erzählte er vom großen Puzzlespiel, das mit einem Geständnis des Täters endete. Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm, Leiter der Zentralen Stelle in Ludwigsburg, holte Däschler im November 2009 zu sich. „Als Polizist war ich ein Exot“, sagte er zu seiner Arbeit zwischen lauter Staatsanwälten und Juristen. Wäre er nicht zum Bürgermeister gewählt worden, wäre er danach wieder zum Morddezernat zurückgekehrt, das hatte er seinem Chef versprochen. Seine Ermittlungen führten ihn unter anderem nach Griechenland, er vernahm Zeitzeugen und Partisanen, baute ein kleines Netzwerk auf. Studenten der Universität Athen werteten für ihn Akten aus.

Das Konzentrationslager Ausschwitz und seine Außenlager beschäftigten ihn eineinhalb Jahre. Als Ausgangspunkt für seine Ermittlungen bekam er eine Liste mit 6000 Namen. Am Ende konnte er 28 noch lebenden Personen nachweisen, dass sie in Ausschwitz tätig gewesen sind. Die Dreharbeiten für die WDR-Dokumentation „Das letzte Kapitel“ über den Nazijäger Däschler erstreckten sich über mindestens ein Jahr. Wenn Däschler im Film seine Sachen zusammenpackt, dann war das tatsächlich sein letzter Tag bei der Zentralen Stelle, bevor er zum 1. März 2014 seinen Dienst als Bürgermeister antrat. Kurz vor dem Ende seiner Amtszeit am 28. Februar 2022 holte Däschler noch die Handwerker ins Rathausbüro, sorgte für einen neuen Teppichboden, frische Farbe und einen Ersatz der teils über 20 Jahre alten Möbel. „Ich will das Rathaus sauber übergeben“, sagte er.

Hinter Däschlers kräftiger Statur verbarg sich ein sensibler Mensch. „Ich hasse nichts mehr, als wenn ich angelogen werde, und ich merke es auch.“ Eines seiner großen Vermächtnisse für den Ort ist das „Betreute Wohnen“ in der Ortsmitte, das er entscheidend vorantrieb. In seinem Ruhestand wurde er Geschäftsführer des „Betreuten Wohnens Neidlingen“. Das geplante Richtfest wurde nun erstmal verschoben. Peter Dietrich