Geschichte
Eine Heimat in Nürtingen, eine in Aleppo

Malek Mansour kam vor beinahe zehn Jahren als Geflüchteter ins Schwabenland. Nach dem Sturz des Assad-Regimes reiste der heute 29-Jährige zum ersten Mal wieder in seine Heimatstadt Aleppo. 

Malek Mansour hat nach vielen Jahren seine syrische Heimatstadt Aleppo besucht. Foto: pr

Sein Herz pocht jedes Mal, wenn er nach Nürtingen hineinfährt. Denn hier in Deutschland hat der junge Mann eine neue Heimat gefunden. Seine alte Heimat liegt in Syrien, in der uralten Stadt Aleppo. Beinahe zehn Jahre lang war er nicht mehr dort gewesen. Nach dem Sturz des Assad-Regimes reiste er nun zum ersten Mal zurück zu seinen Wurzeln. Was er von dieser Reise berichtet, ist erschütternd und hoffnungsvoll zugleich.

Vier Jahre ist es her, dass Malek Mansour hier in Nürtingen sein kleines Büchlein vorstellte. Darin berichtet er von seiner abenteuerlichen Flucht aus Syrien. Weil er als kritischer Student vom Regime verfolgt, eingesperrt und gefoltert worden war, hatte er alles in seiner Heimat zurückgelassen. Seine Familie hatte ihm die Flucht mit dem Ersparten ermöglicht.

Dann war er in Nürtingen angekommen. Zuerst in der Gemeinschaftsunterkunft auf dem Säer. Fand Mentoren wie Joerg Hauber. Fand die Liebe. Anja half ehrenamtlich in der Flüchtlingsbetreuung. Heute sind sie verheiratet. Malek Mansour entwickelte Träume. Von einem Leben hier. Die Sprache begriff er gleich als Schlüssel. Mit Deutschen zusammen zu sein, das half.

Malek Mansour wird Orthoptist

Zum Traum vom Leben in Deutschland gehört die Arbeit. Nach seiner Anerkennung in Deutschland wäre er gerne Augenarzt geworden. Wie sein Vater in Aleppo. „Für ein Studium reichten die Noten nicht“, sagt er mit einem freimütigen Lächeln. Seinen Weg hat er dennoch gefunden. Er führte ihn trotzdem zur Augenheilkunde: In Heidelberg trat er an der Uni-Klinik eine dreijährige Ausbildung zum Orthoptisten an. „Es macht Spaß, es ist das Richtige“, sagt Malek Mansour. Im September wird er seine Prüfung ablegen. Dann führt ihn der Lebensweg wieder zurück in „sein Schwabenländle“, wie er sagt. Die Schwiegermutter lebt in Nürtingen, das Paar wird nach Köngen ziehen. Eine Wohnung haben sie schon. In einer Klinik oder Praxis wird er arbeiten.

Bei aller Liebe zur neuen Heimat: Nie hatte er Syrien, Aleppo, die Familie vergessen. Doch daran geglaubt, dass er einmal zurückkehren könnte, hatte er nie. „Es war hoffnungslos“, sagt er heute. Assad und seine Schergen hätten das ganze Land kontrolliert. Dann kam der schicksalhafte 8. Dezember 2024. Das Regime der Familie, die Syrien 53 Jahre beherrscht hatte, stürzte. „Da war große Erleichterung“, sagt Malek Mansour. Nach ein paar Wochen machte er sich auf den Weg. Über Frankfurt nach Doha. Dann in die syrische Hauptstadt Damaskus. Er reiste mit dem deutschen Pass ein. „Ich wurde mit einem Lächeln begrüßt bei der Einreise“, erinnert er sich. Für ihn war das surreal.

Und auch bei der fünfstündigen Fahrt weiter gen Norden mit dem Taxi in seine Heimatstadt Aleppo kamen die Erinnerungen wieder hoch. An die Militärblockaden. Die einen nur gegen Geld passieren ließen. Wenn überhaupt. Wieder fühlte er die Angst. Doch diesmal war sie unbegründet. „Es war wie ein Traum“, schildert Malek Mansour diese hochemotionale Reise. Er konnte es nicht glauben, wieder nach Hause zu kommen.

Und dann ist da überall diese Zerstörung. Die Vorstädte von Damaskus: in Schutt und Asche. Auch in Aleppo. Manche Orte hat er einfach nicht mehr erkannt. „Da musste ich weinen“, sagt er. Zuerst hatte er nicht das Gefühl, in seiner Heimat zu sein, bekennt er. Dann sei er aber gleich wieder drin gewesen. Warum diese anfängliche Fremdheit? „Ich habe mir die deutsche Mentalität angeeignet“, sucht er nach einer Erklärung. „Am ersten Tag fühlte ich mich wie ein Fremder.“ Seine Mutter und seine Schwester hatte er bereits im Jahr zuvor in Jordanien getroffen.

Den Vater hatte er seit seiner Flucht vor beinahe zehn Jahren nicht mehr gesehen – und der 72-Jährige sollte auch vor der Ankunft seines Sohns nichts von dessen Anreise erfahren. „Ich wollte diesen schönen Moment, in dem wir uns in Freiheit wieder treffen, mit ihm zusammen feiern“, beschreibt Malek Mansour. Obwohl er in Rente ist, arbeitet sein Vater weiter als Augenarzt. Im Gästezimmer zu Hause, die Praxis ist zerbombt. Frau und Tochter hatten noch einen letzten Patienten angekündigt. Es war Malek: „Ich bin ganz schnell die Treppe hoch.“ Der Vater hat ihn nur angestarrt. Wollte ihn nicht mehr loslassen.