Zwischen Neckar und Alb
Eine Rolexuhr, Münzen und jede Menge Schrott: Im Neckar schlummern rostige Schätze 

Magnetfischen Am Wasserhaus in Esslingen treffen sich einige Schatzsucher einer Facebook-Gruppe, um mit speziellen Magneten Schrott aus dem Neckar zu ziehen. Sie bergen dabei spannende Objekte. Von Dominic Berner

Es dauert nur wenige Minuten, dann hängt der erste spannende Fund am Magneten. Es handelt sich vermutlich um eine alte Geldkassette, Flusswasser und Zeit haben an dem Material genagt. Stark verrostet ist sie nun, der Deckel fehlt – genau wie der frühere Inhalt. Für die Finderin, die neunjährige Marla Klein, und die übrigen Angler der Facebook-Gruppe „Magnetfischen Baden-Württemberg“ wird es jedoch an diesem Tag nicht der letzte verrostete Schatz bleiben.

 

Magnetangeln ist für uns zu allererst Umweltschutz.
Markus Kronenwett, Organisator der Esslinger Magnetfischer

 

Um 13.30 Uhr treffen sich die Magnetangler am Wasserhaus in Esslingen, direkt hinter dem Landratsamt. Die Handvoll Schatzsucher sind allesamt mit 360-Grad-Magneten ausgestattet, sie ziehen rundum metallische Gegenstände an und sind an dünne, etwa 30 Meter lange Nylonseile geknotet. „Wir werfen die einfach ins Wasser rein und ziehen die Magnete zu uns heran. Alles was magnetisch ist, bleibt daran hängen“, sagt Markus Kronenwett, der das Treffen organisiert hat.

Granate an der Angel?

Fotos und Videos, die in der Gruppe hin und her geschickt werden, beweisen: Am Grund der Flüsse schlummern teils verrückte Objekte. So zum Beispiel eine mit Strasssteinen besetzte Rolex-Armbanduhr, zahlreiche Geldmünzen – vor allem Kleingeld, Ein- und Zwei-Euro-Münzen sind nur schwach magnetisch – und Modeschmuck. Diese Schätze zu bergen, „das ist das, weshalb das Ganze auch Spaß macht“, sagt der 38-Jährige.

Aber auch gefährliche Objekte werden regelmäßig aus den trüben Fluten gefischt. „Ungefährlich ist das definitiv nicht“, erklärt der Vater zweier Söhne. Im Juni vergangenen Jahres haben er, Joel, 12 Jahre alt, und Leon, 14, diese Erfahrung gemacht. In Bad Cannstatt zog einer der beiden Brüder einen Metallgegenstand aus dem Neckar, der aussah wie eine Weltkriegshandgranate. Ein hinzugerufener Bombenspezialist des Landeskriminalamtes gab jedoch Entwarnung. Es war nur das Gewicht einer alten Kuckucksuhr. Neben spannenden Objekten finden sie aber vor allem eines: Tonnenweise Schrott und Müll. „Magnetangeln ist für uns zu allererst Umweltschutz“, erklärt Markus Kronenwett. Schnell wird klar, was er damit meint.

Manchmal braucht es schweres Gerät

Bei der Aktion in Esslingen ist auch der 37-jährige Benjamin Klein mit seiner Tochter Marla dabei. Nachdem Kronenwett blaue Westen ausgeteilt hat, dem neu eingeführten Erkennungszeichen der Facebook-Gruppe, geht es los. Kunststoffeimer und -kisten werden für die Funde bereit gestellt, die Handschuhe angezogen – und schon landet der Magnet mit einem Flatsch im Wasser.

Die neunjährige Marla wirft unermüdlich aus, wartet kurz und zieht das Seil dann zu sich heran. „Wir gehen hier ein bisschen auf Schatzsuche“, sagt Benjamin Klein, der in seiner Freizeit sogenannte Lost Places, also verlassene Orte, fotografiert. „Ich habe im Fernsehen mal einen Bericht über das Magnetangeln gesehen und dachte mir: Das ist doch eine gute Alternative für die Kinder, um ein bisschen an die frische Luft zu kommen.“ So oft sie eben Zeit dazu finden, ziehen Vater und Tochter mit den Anglern der Facebook-Gruppe los. „Das Spektakulärste, was wir je rausgezogen haben, war ein Zigarettenautomat“, sagt Klein. Mit einer Seilwinde und Tauchern beförderten sie den Automat aus dem Stuttgarter Hafenbecken. „Manchmal braucht man schwereres Gerät.“

Jedes Objekt hat eine Geschichte

Nicht alles, was die Magnetfischer aus den Flüssen ziehen, passt in die Kunststoffkisten. Häufig benötigen sie einen Anhänger, um den Schrott abzutransportieren. Elektro-Scooter und Fahrräder gehören mittlerweile fast zu den Standardfunden. Aber auch Unterhaltungselektronik, wie Handys, DVD- und VHS-Player, hatten sie schon öfter am Haken. Jeder Gegenstand erzählt eine eigene Geschichte, so wie etwa die Merklin-Modelleisenbahn aus den 60er-Jahren, die Kronenwett und seine Söhne aus dem Wasser gezogen haben. „Man denkt sich: Warum? Die war noch gut in Schuss, jemand muss seine Sammlung aufgelöst haben.“ War der Besitzer zu faul, das Modell richtig zu entsorgen? Gab es einen Grund, um es im Fluss zu versenken? Man wird es nie erfahren.

Seit etwas mehr als zwei Jahren gehen Markus, Joel und Leon Kronenwett Magnetangeln. Auf Facebook und auf ihrem YouTube-Kanal „K-Team“ halten sie alle Eindrücke und Funde in Bild und Video fest. Was als Beschäftigung in der Coronazeit begann, nahm immer weiter Fahrt auf. Mittlerweile haben sie zuhause in Oberstenfeld (Kreis Ludwigsburg) ein kleines Museum eröffnet, in dem sie ihre Funde der Öffentlichkeit zugängig machen. „Es gibt nichts, was da nicht rausgezogen wird“, sagt der 38-Jährige.

Im Museum ist auch eine mit Batterien gefüllte Kiste zu sehen – auch als Warnung. Funde wie diesen machen Markus Kronenwett, der im Elektrogroßhandel arbeitet, fassungslos. „Wir leiden gerade unter Rohstoffmangel“, sagt er. Es gebe verschiedene Wege, um diese Gegenstände zu entsorgen und zu recyceln.

Allerhand Schrott in Esslingen

Was sie aus den Flüssen ziehen – ihr Rekord liegt bislang bei 800 Kilogramm an einem Tag – bringen sie zum Schrotthändler, wo sie den aktuellen Schrottpreis dafür bekommen. Der liegt derzeit bei etwa 200 Euro. Doch das Geld wandert nicht in ihre eigene Tasche. Im vergangenen Jahr haben sie Bäume gepflanzt, 2022 soll es dem Projekt Herzenssache zugutekommen, das Kinder unterstützt. Auch an diesem Tag sammeln die Magnetfischer allerhand Schrott. Sie wechseln auch den Standort am Hammerkanal, weil der alte zu wenig hergab – eigentlich ein gutes Zeichen. Trotzdem ziehen sie unter anderem ein Skateboard, rostige Fahrräder, diverse Stangen und Rohre, Straßenschilder und ein Sex-Spielzeug aus dem Neckar – und auch eine lange Gewehrpatrone.

Magnetfischen im Südwesten

Gemeinschaft: Die Facebook-Gruppe „Magnetfischen Baden-Württemberg“ wurde im April 2021 gegründet. Die Idee stammt von Markus Kronenwett und zwei Bekannten. Der Grund: Es habe immer wieder Anfragen gegeben, ob sie nicht als Gruppe magnetangeln wollten? Bevor sich treffen, versuchen sie ihre Aktion mit den Kommunen abzuklären. Häufig bekommen sie aber nicht einmal eine Antwort auf ihre Anfragen. Mittlerweile zählt die Gruppe mehr als 100 Mitglieder aus dem ganzen Südwesten.

Equipment: Um mit dem Magnetangeln anzufangen, braucht es nicht viel. Das Hauptwerkzeug, den besonders starken Neodyn-Magneten, gibt es als 360-Grad- oder als Topfmagneten. Die eine Variante zieht an allen Kanten Metalle an, die andere nur an der Unterseite. Online gibt es die Magnete als Sets mit Seil zu kaufen. Einsteigermodelle liegen preislich bei etwa 20 Euro. Außerdem empfehlen die Magnetfischer gummierte Arbeitshandschuhe, um die Hände vor scharfen Kanten zu schützen.