Weilheim · Lenningen · Umland
Emotionale Achterbahnfahrt

Theater Eindrucksvoll demonstriert der Berliner Schauspieler Benjamin Stoll beim Württembergischen Christusbund Kirchheim sein Solostück „Abraham aus Liebe“. Von Sabine Ackermann

Die Stimme aus dem Off klingt eindringlich: „Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und gehe hin in das Land Morija und opfere ihn zum Brandopfer auf einem Berge.“ Während dieser Worte kommt ein Mann lautlos von hinten, langsamen Schrittes geht er im Mittelgang vorbei an den Zuschauern, betritt die Bühne und schaut unbeweglich in die Menge. Von irgendwo her brummt ein Gebläse, ansonsten ist Stille. Sein Blick im Scheinwerferlicht wirkt verklärt und etwas traurig. Das Bühnenbild ist spartanisch - ein Holzstuhl und Benjamin Stoll. „Sie haben mich wahrscheinlich älter erwartet, Sie haben recht, ich bin schon sehr alt“, sagt der Mann im weißen Hemd und schwarzer Hose. Alt, oder vielmehr abgewetzt, sind nur seine Schuhe und der Stuhl.

Stoll benutzt die ganze Bühne

Dann beginnt er als Abraham zu erzählen. „Meine Frau und ich konnten keine Kinder bekommen, haben alles versucht und uns damit abgefunden.“ Dabei kriegt er sich nicht ein vor Lachen. „Ich, mit 100 Jahren Papa? Und Sara, mit 90 Jahren schwanger?“, ruft er laut und spinnt die Geschichte weiter: „Stellen Sie sich mal vor, eine 90-Jährige, die ein Ultraschallbild will, zum Geburtsvorbereitungskurs geht und nachts in der Küche Essiggurken isst.“ Der werdende Vater atmet laut und hastig, „ich brauch eine Zigarette - ach, ich rauch ja gar nicht!“ Verhaltenes Glucksen aus dem Publikum. Dann - Kreißsaal, Geburt, Freude und dreifache Bekräftigung, dass er nun endlich einen Sohn hat. Und weil bei Gott nichts unmöglich erscheint, hält er trunken vor Glück das imaginäre Kind im Arm: „Wer bist du denn? Isaak! Du bist mir so vertraut, so ähnlich.“

Benjamin Stoll benutzt die ganze Bühne, steht, sitzt, kniet, liegt auf dem Boden, schreit, flüstert, weint, lacht. Zwischendurch flackert das Licht, geht aus und wieder an, oder man hört die einfühlsame Klaviermusik des Komponisten Peter Roth-Westdickenberg. Das Publikum ist dabei, wenn Abraham die Nöte und Freuden eines Vaters erlebt. Das schreiende Menschenbündel verzweifelt beruhigt, das gestillt werden will, einen Riesenspaß beim Verstecken- und Fußballspielen mit seinem Sohn hat oder lächelnd einfach nur in den Sternenhimmel schaut. Beim Kampf Kanaan gegen die Philister mimt Abraham den Fußballreporter wie einst 1954 beim „Wunder von Bern“: „Aus dem Hintergrund müsste Isaak jetzt schießen, Isaak schießt und - Tooor, Tooor, Tooor, das Spiel ist aus und Kanaan Weltmeister!“ Stetig wechseln sich moderne mit biblischen Inhalten ab, die der Berliner Schauspieler, der zugleich Autor und Regisseur des Stückes ist, beeindruckend mit Gestik und Mimik unterschiedliche Emotionen offenbart.

Gott fordert Gehorsam

Als fünffacher Vater bringt er vermutlich seine eigenen Erfahrungen ein und verarbeitet sie. Und dann platzt plötzlich diese Idylle, gelangt das Böse, das Unbegreifliche in die heile Welt: Sein Gott fordert von ihm unbedingten Gehorsam, der Herr verlangt, Abraham soll seinen geliebten Sohn Isaak opfern. Mit einem markerschütternden Schrei macht er seiner Verzweiflung Luft, bricht zusammen. Macht so etwas ein gerechter und gütiger Gott? „Du hast ihn mir doch geschenkt?“ In letzter Sekunde verhindert ein Engel das Opfern des Sohnes.

Abraham, der in verschiedenen Religionen eine zentrale Rolle spielt und dennoch als „ältester Streitfall der Glaubensgeschichte“ gilt, wird mit 100 Jahren Vater. Sara, die Frau des Patriarchen, bringt mit gleichfalls sportlichen 90 Jahren den lang ersehnten und verheißenen Sohn Isaak zur Welt. So die Überlieferung, aus der Benjamin Stoll sein Solostück geschrieben hat. Eine Geschichte, die berührt und zum Lachen, aber auch zum Weinen bringt und ganz sicher ein Anstoß ist, um darüber ins Gespräch - insbesondere über Gott - zu kommen.