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Enteignung ist kein Tabu

Baulandentwicklung Jetzt ist es offiziell: Dettingen ist gewillt, notfalls Flächen zu enteignen, um das Wohnbaugebiet Untere Wiesen realisieren zu können. Von Iris Häfner

Das hat historische Bedeutung“, sagte Bürgermeister Rainer Haußmann. Mit allen Eigentümern des geplanten Baugebiets Untere Wiesen war gesprochen worden, von einer Eigentümergemeinschaft kommt jedoch ein beharrliches Nein. Sie stört sich am Baugebot. Das sieht vor, dass spätestens in 17 Jahren jeder Bauplatz bebaut beziehungsweise die Fläche an einen Bauwilligen verkauft ist.

„Wir müssen unserer Verantwortung gerecht werden“, sagte Rainer Haußmann. Der Wohnraumbedarf ist bis 2030 ermittelt - das ist ein Wachstum von 0,3 Prozent pro Jahr. Die sechs Hektar der Unteren Wiesen unterhalb des Guckenrains sind dabei fest eingeplant. Wie viel dort von den übergeordneten Behörden genehmigt wird, steht noch nicht fest, Dettingen leitet jetzt die entsprechenden Vorplanungen und Maßnahmen ein. Dazu gehören auch die archäologischen Untersuchungen, die derzeit auf einem Teil der Fläche stattfinden. Die Eigentümer haben diesen Arbeiten in der vegetationsarmen Zeit zugestimmt.

Der Schultes machte keinen Hehl daraus, dass ihm das Freiwilligenmodell weitaus genehmer ist, er notfalls jedoch das Prozedere bis zum bitteren Ende durchziehen wird, also die Eigentümer enteignet. „Der Prozess kann jedoch jederzeit abgebrochen werden. Es wäre nichts verloren“, sagte er. Dettingen bietet den Wieseneignern seiner Ansicht nach gute und faire Bedingungen an. „Ich habe hohen Respekt vor Eigentum und landwirtschaftlicher Fläche“, versicherte er. Dem stehe jedoch der berechtigte Wunsch nach Bauland gegenüber und dem will er Rechnung tragen. „Für alle wäre es besser, wenn wir uns mit allen Eigentümern einigen könnten“, so Rainer Haußmann. Bei dem Modell, an dessen Ende die Enteignung steht, würden alle verlieren. „Die Tauschflächen wären weg“, nannte er als Beispiel. Mehr Rendite würde beim Freiwilligenkonzept für den Einzelnen rausspringen. „17 Jahre sind eine gute halbe Generation“, erklärte er im Blick auf die gewährte Frist bis zum spätest möglichen Baubeginn. Würde das ungeliebte Verfahren angewendet, wäre außer der Gemeinde Dettingen niemand mehr auf dem Platz. Die Eigentümer hätten mit der Fläche nichts mehr zu tun, denn nur die Kommune würde die Fläche besitzen.

„Ich bedaure ausdrücklich, dass es keine freiwillige Einigung gibt. Unser Angebot ist sehr fair und ein riesiges Entgegenkommen“, sagte Andreas Hummel im Blick auf die gewährte Zeit bis zum endgültigen Baubeginn. Ihm würde es leidtun, müsste das Enteignungsverfahren durchgezogen werden. Dies würde Verluste für alle bedeuten wegen einer Eigentümergemeinschaft. Er appellierte an deren Adresse, doch noch einzulenken. Ins gleiche Horn blies Rainer Kuhn. „Für uns gibt‘s keine andere Lösung“, sagte er und erinnerte an das Jahr 1976. Auf dem neuen Guckenrain würden seit dieser Zeit nicht unbedeutende Flächen als Bauland brach liegen. „So ‘was nochmals zu machen wäre fatal“, erklärte er - auch wenn es nicht Ziel des Gemeinderats sei, zu enteignen. „Doch im Sinne der Bevölkerung müssen wir das durchziehen“, so Rainer Kuhn.

Rainer Haußmann ging sogar noch einen Schritt weiter. „Möglicherweise ist der nächste Schritt, alle unbebauten Bauplätze zu ermitteln und dann mit den Eigentümern zu reden. Auch hier kann eine Enteignung kein Tabu sein - auch wenn ich keine andere Gemeinde kenne, in der das gemacht wurde oder wird“, sagte er. Bauflächen für Kinder oder Enkel frei zu halten, die nach dem Studium in Berlin oder anderswo nicht zwangsläufig nach Dettingen zurückkommen, sieht er als fragwürdig an. „Die Frage ist: Wann kommt das Fallbeil?“, warf er in den Raum.

Peter Beck findet die Uneinigkeit ebenfalls schade. „Enteignung ist eine harte Maßnahme, aber wir müssen an die anderen denken“, sagte er hinsichtlich des Gesamtprojekts Wohnraumgewinnung. Dieser Ansicht war die große Mehrheit des Gemeinderats. Bei einer Gegenstimme beschloss das Gremium, notfalls mithilfe von Enteignung das Wohnbaugebiet Untere Wiesen auf den Weg zu bringen.