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Erntebilanz: Zwischen Sonnencreme und Gummistiefeln

Nahrungsmittel Für die Bauern ist das Erntejahr 2023 anstrengend. Auch im Kreis Esslingen gibt es Einbußen. Von Caroline Holowiecki

Wetterkapriolen kennt Siegfried Nägele zur Genüge. Er ist es als Vorsitzender des Kreisbauernverbands Esslingen gewohnt, draußen zu schaffen. Gerade gestern erst habe es bei ihm daheim, in Bissingen an der Teck, in nur 20 Minuten 45 Liter Regen auf den Quadratmeter gegeben. Was 2023 in Summe bisher bereitgehalten hat, ist allerdings selbst für ihn speziell. „Anstrengend“ sei dieses Erntejahr. Erst ein schneearmer, trockener Winter und wenige Frosttage, was die Böden lehmig gemacht habe, dann ein nasses Frühjahr, das das Anpflanzen und Aussäen erschwert habe, danach eine heiße Phase, dann wieder viel Regen, dann Hitze. Siegfried Nägele und seinen Kollegen haben diese langen Extremphasen in Stress gebracht. „Zwischen Gummistiefel und Sonnencreme“, sagt er.

Ernte als Zitterpartie

Es sind Probleme, die die Branche landesweit treffen. Der Landesbauernverband hat dieser Tage über den Ernteabschluss informiert, der Präsident Joachim Rukwied sprach von einer Zitterpartie. Vielerorts hätten Erntearbeiten aufgrund des Regens häufig unterbrochen werden müssen. In Summe sprach er von einer Durchschnittsernte in Baden-Württemberg. Während das frühe Getreide – Winterweizen oder -gerste – noch ganz gut durchgekommen sei, habe man das Sommergetreide wegen des nassen, kühlen Frühjahrs erst spät aussäen können, und diese Kulturen hätten dann unter der ausgeprägten Trockenheit im Frühsommer gelitten. Die Folge: Ernteausfälle. Siegfried Nägele berichtet zudem von Qualitätsproblemen. „Wenn das Getreide reif war und man hat es nicht schnell genug weggekriegt, hatte man gleich Qualitätseinbußen.“ Laut Rukwied haben landesweit Teile der Weizen- und Gerstenernte keine Back- oder Brauqualität. „Das landet jetzt im Futtertrog.“

 

Die Mäuse hatten Durst und haben teilweise die Tropfschläuche angefressen.
Beate Hörz
Bio-Landwirtin

 

Die Ertragsspanne ist im Land regional groß. Auch im Kreis Esslingen gibt es teils kleinräumige Unterschiede, sagt Siegfried Nägele. Im Neckartal etwa gebe es in der Tendenz viel Wintergetreide, dort sei man in puncto Erntezeitpunkt etwas besser weggekommen, auf den Fildern und der Alb sei man eher in die Regenphase gerutscht. Auf der Filderebene ist zudem der Gemüseanbau stark. Dort habe man viel bewässern müssen, weil in der entscheidenden Phase Niederschlag gefehlt habe. Jörg Hörz, der mit seiner Frau in Bonlanden einen Bio-Gemüsehof betreibt und um die 80 Kulturen anbaut, bestätigt das. Zwischen 11 000 und 23 000 Kubikmetern pro Jahr liege bei ihm sonst der Wasserverbrauch, „und wir sind in diesem Jahr jetzt schon bei 20 000 Kubikmetern“. In den Pflanztunneln hätten 40 Grad geherrscht, „das macht ein Arbeiten unmöglich“.

Die langen heißen Phasen hatten auch andere Folgen. „Wir hatten hohe Fressschäden durch Mäuse. Die Mäuse hatten Durst und haben teilweise die Tropfschläuche angefressen“, erzählt Beate Hörz. Viel Hitze, viel Regen, und irgendwie alles zur falschen Zeit: Landwirte wie das Ehepaar Hörz hat das in diesem Jahr deutlich strapaziert. „Das ist eine große Herausforderung an die Arbeitsorganisation“, sagt Jörg Hörz. Für den Landesbauernpräsidenten Joachim Rukwied ist klar, dass die Landwirtschaft künftig mehr solcher Probleme bekommen wird. „Das zeigt auf, dass der Klimawandel da ist“, sagt er. Reagieren müsse man mit widerstandsfähigeren Pflanzen und auch neuen Kulturen, etwa der Kichererbse, auch die Fruchtfolge müsse aufgelockert werden.

Zusätzliche Absatzprobleme

Was Landwirten in diesem Jahr zusätzlich zu schaffen macht, sind Absatzprobleme. Regionales lässt die Kundschaft immer häufiger zugunsten von Discounterware liegen, vor allem auch Bio wird verschmäht – aus Kostengründen. Das merkt man bei Hörz in Bonlanden deutlich. „Die Leute kaufen eher preisbewusst ein“, sagt Jörg Hörz. In der Folge habe man exotische Sorten in dieser Saison zugunsten eines Basissortiment reduziert. Gleichzeitig sind laut Siegfried Nägele die Preise, die Bauern für ihr Getreide erzielen, in den Keller gerutscht. Joachim Rukwied spricht von einem schmerzhaften Preiseinbruch – bei gestiegenen Kosten für Energie oder auch Dünger. „Die Preise müssen wieder anziehen, damit die Familienbetriebe wieder eine Zukunft haben“, sagte er.

Die Ernte ist freilich noch nicht abgeschlossen. Der Herbst kommt noch, und Rukwied ist mit Blick auf die Herbstkulturen wie Zuckerrüben, Mais oder auch Wein positiv gestimmt. „Der Regen hat gutgetan.“ Die Apfelernte jedoch werde unterdurchschnittlich ausfallen, das sei teils Frösten und Hagel geschuldet. Siegfried Nägele berichtet für den Kreis Esslingen zudem, dass das Obst bisweilen Sonnenbrand davongetragen habe. Wegen der Trockenheit hätten die Bäume zudem einen Teil ihrer Früchte fallen gelassen. „Obst kann man nicht eincremen.“

 

Der Landesbauernverband nennt Zahlen

Bilanz Laut dem Landesbauernverband Baden Württemberg gab es in diesem Jahr wegen des Wetters teils deutliche Ernteeinbußen. Während der Ertrag beim Winterweizen – der mit einer Anbaufläche von gut 212 000 Hektar wichtigsten Kultur in Baden-Württemberg – mit 76 Dezitonnen pro Hektar sogar ein Prozent über dem Vorjahresergebnis lag, ist die Sommergerste mit 49 Dezitonnen je Hektar um 13 Prozent im Vergleich zum Vorjahr eingebrochen. Der Ertrag beim Hafer ging mit 47 Dezitonnen je Hektar 15 Prozent zurück gegenüber 2022.

Dachverband Der Landesbauernverband mit seinem Präsidenten Joachim Rukwied vertritt rund 33 000 Landwirte aus Baden-Württemberg. Er ist damit einer der größten und einflussreichsten Bauernverbände in Deutschland. Insgesamt ist jeder zehnte Arbeitnehmer im Land direkt oder indirekt von der Landwirtschaft abhängig. car