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„Es braucht Diplomaten und Deeskalation“

Politik In einer Online-Konferenz ging es um die friedliche Lösung von Konflikten.

Kirchheim. „Aktuell könnte ich jeden Tag drei Talkrunden bestreiten“, sagt Martina Fischer, Referentin für Frieden und Konfliktbearbeitung beim evangelischen Hilfswerk „Brot für die Welt“ mit Sitz in Berlin. So war ihr Online-Zeitbudget für die Friedensinitiative Kirchheim (FIN.K) auf eine gute Stunde begrenzt. Die wurde aber von ihr und rund 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmern gut genutzt.

Das unbürokratische Aufnahmeverfahren für Geflüchtete begrüßt Martina Fischer ausdrücklich, befürchtet aber zweierlei Maß: „Was ist mit den afrikanischen Studenten aus der Ukraine, die keinen ukrainischen Pass haben?“ Wichtig sei, dass die EU auch für Deserteure aus allen Ländern offen sei.

Auf dem politischen Weg müsse alles unternommen werden, um einen Waffenstillstand zu erreichen, sagt Martina Fischer. Dafür wünscht sie sich „gestandene Diplomaten aus Nicht-Nato-Ländern“ – Männer und Frauen. Sie sollten Länderkunde und zudem viel Erfahrung mitbringen. Die Verhandlungen sollten am besten auf Basis der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) geschehen. „Die OSZE ist nicht tot.“ Sie leiste gute Arbeit zur Rüstungskontrolle und zu vertrauensbildenden Maßnahmen. In der Diplomatie sei entscheidend, dem Gegenüber eine Möglichkeit zu geben, um zurückzurudern.

Rüstungsabkommen, die in den vergangenen Jahren aufgekündigt wurden, teils durch die USA, müssten wieder aufgenommen werden. Sich nicht schon vor Jahren um eine europäische Friedensordnung, die Russland einschließt, bemüht zu haben, sei ein „großer Fehler“ gewesen. Ziel müsse weiterhin eine solche europäische Friedensordnung sein, die weder von den USA noch von Russland diktiert werde. „Die Sicherheitsinteressen von Europa und den USA sind nicht identisch“, so Martina Fischer.

Es sei darauf zu achten, dass der Krieg nicht auf andere Länder übergreife. „Der polnische Vorschlag mit den Flugzeugen oder eine Flugverbotszone wären eskalierend.“ Sanktionen seien zwar alternativlos, aber es sei stets zu fragen, was damit erreicht werden solle. „Auch das hat Eskalationspotenzial, das ist ein Dilemma.“

Die Kriegsrhetorik beenden

Deeskalation brauche es auch bei der Sprache, betont die Referentin. „Wir müssen die Kriegsrhetorik beenden und Nachrichten sorgfältig prüfen.“ Sie habe Angst, dass ein aggressiver Diskurs zu politischen Entschlüssen führe. „Wir müssen besonnen handeln. An Versöhnung und Aussöhnung dürfen wir nicht erst 20 Jahre später denken.“ Martina Fischer verweist auf die „elf friedenspädagogischen Denkanstöße für den Umgang mit dem Ukraine-Krieg“, die die Berghof Foundation vergangene Woche veröffentlicht hat. Sie spricht sich deutlich gegen den Export von Waffen in Spannungsgebiete aus. „Wir machen immer wieder die Erfahrung: Waffen wandern und führen zur Verlängerung von Kriegen.“

Den Vorschlag zu einem 100-Milliarden-Sonderprogramm für die Bundeswehr und mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für den Verteidigungshaushalt hält Martina Fischer für „aktionistisch und überzogen“. Zuerst brauche es eine gesellschaftliche Debatte darüber, „was die Bundeswehr in Zukunft leisten soll“. Dabei dürfe der Begriff „Sicherheit“ nicht militärisch verengt definiert werden. Die geplanten Mehrausgaben gingen zulasten der Entwicklungszusammenarbeit und ziviler Krisenprävention. Das sei im Haushaltsentwurf klar zu sehen.

Auch für den Abschied von fossilen Energieträgern fehlten Mittel, gibt Martina Fischer zu bedenken. Darüber hinaus hätten diese militärischen Mehrausgaben keinen Einfluss auf den Krieg in der Ukraine. Nichtregierungsorganisationen und Kirchen sollten in dieser Frage zudem engen Kontakt zu Politikern halten: „Manche Abgeordneten warten händeringend auf Statements der Zivilgesellschaft.“ Peter Dietrich

 

Sorgfältiges Prüfen
von Nachrichten

Nachrichten müssten geprüft werden, betont Fischer. Ein Beispiel sei die Meldung, Russland habe ein Atomkraftwerk beschossen. „Als Friedrich Merz (CDU) sagte, man müsse über den Nato-Bündnisfall nachdenken, war ich sehr beunruhigt“, so Fischer. Dann habe sich herausgestellt, dass es in der Nähe eine Schießerei gegeben habe und eine Lagerhalle brannte.

Warum legt Russland so großen Wert darauf, ukrainische Atomanlagen zu besetzen und zu untersuchen? Traditionell bezog die Ukraine Brennstäbe von Russland. 2020 traf sie laut „world nuclear news“ jedoch eine Liefervereinbarung mit der Westinghouse Electric Company. Russland verlor die Kontrolle. Und der ukrainische Präsident drohte, sein Land zu einer Atommacht zu machen. Atomkraftwerke seien gut geeignet, um militärische atomare Forschung zu verbergen, sagt der investigative Journalist Dirk Pohlmann. Anders als in einer Kaserne seien dort Strahlenschutzmaßnahmen nicht verdächtig. Auch eine atomare Hintergrundstrahlung falle nicht auf. Ein Beispiel für dieses Vorgehen sei Schweden, das seine ehemalige militärische atomare Forschung in Kraftwerken vorgenommen habe. pd