Weilheim · Lenningen · Umland
„Es geht ums Abwägen von Alternativen“

Interview Für den Kommunikationsforscher Frank Brettschneider sind Konflikte wie der um das geplante interkommunale Gewerbegebiet in Kirchheim und Dettingen zwar typisch, aber vermeidbar. Von Bernd Köble

Er ist einer der renommiertesten Politikwissenschaftler im Land und ein gefragter Berater von Städten und Gemeinden bundesweit. Welcher Konflikt in der Diskussion über das interkommunale Gewerbegebiet in Dettingen und Kirchheim steckt und wie Bürgerbeteiligung funktionieren kann, darüber haben wir mit Prof. Dr. Frank Brettschneider von der Uni Hohenheim geredet.

 

Herr Brettschneider, rund vierzig Hektar Agrarland beidseits der Autobahn bei Kirchheim sollen zu Gewerbegebiet werden. Die Befürworter reden von Zukunftssicherung, die Gegner von zerstörtem Lebensraum. Was spricht für Sie aus diesem Konflikt?

Frank Brettschneider: Das ist ein ganz typischer Konflikt. Verfügbare Fläche für Wohnen, Gewerbe, Verkehr oder Naherholung wird immer weniger. Entsprechend werden diese Konflikte intensiver. Die Frage ist, wie man zu einer gesellschaftlich tragfähigen Lösung kommt. Das ist eine Frage der Abwägung, aber auch des Verfahrens.

Welche Lösung schlagen Sie vor?

Brettschneider: Im Prinzip gibt es zwei. Die gewählten Repräsentanten beraten und entscheiden, dann kann das Proteste nach sich ziehen. Oder es gibt eine dialogorientierte Bürgerbeteiligung. Das fängt an mit einer Information, bei der man erst mal darlegt, was ist das Problem. Was sind mögliche Lösungen und was spricht für und gegen mögliche Lösungen. Im nächs- ten Schritt kommt der Dialog mit der Bevölkerung. Welche Ideen gibt es, an den bestehenden Plänen etwas zu modifizieren? Ein Beispiel, wo das sehr gut gelungen ist, ist in Metzingen bei der Diskussion um die Zukunft der städtischen Bäder. Da gab es einen Online- und Offline-Bürgerdialog und am Ende eine Entscheidung durch den Gemeinderat.

Bei der Bürgerinformationsveranstaltung in Dettingen wurde ein typisches Dilemma deutlich, wenn allgemeine Sorge und Unbehagen auf nüchterne Expertise trifft. Wie tritt man in einen Dialog, wenn man nicht dieselbe Sprache spricht?

Das ist eine gute Frage. Das ist eigentlich nicht möglich. Vor allem bei Bau-Infrastrukturprojekten erlebt man oft, dass Interessensgruppen aneinander vorbeireden. Die Gründe für Protest sind ja oft ganz unterschiedlich. Da gibt es die sogenannten projektbezogenen Gründe wie Umwelt- und Naturschutz, Kosten oder auch Sicherheitsrisiken. Über die kann man noch ganz gut diskutieren. Da kann man Experten einbeziehen, Gutachten anfertigen lassen. Dann gibt es die sogenannten Nimby-Gründe als Kürzel für „Not in my Backyard“. Menschen sind für etwas, aber nicht bei sich. Typisches Beispiel: Man ist für Windenergie, aber den Windmast um die Ecke will man nicht. Dann gibt es die verborgenen Gründe. Das ist ein Unbehagen angesichts gesellschaftlicher Entwicklungen. Der letzte Grund hat eher mit Verfahren und Kommunikation zu tun. Diese Menschen sind unzufrieden, weil sie sich nicht ausreichend einbezogen fühlen. Da ist dann pauschal „von denen“ die Rede, wenn es um Politik und Verwaltung geht. Oft ist es eine Mischung aus allen diesen Gründen.

In Dettingen geht es zunächst nur um den Flächennutzungsplan, also um das Thema Flächenverbrauch. Dass Wachstum nicht grenzenlos sein kann, ist unstrittig. Trotzdem hat sich am ökonomischen Kernthema über Jahrzehnte nichts geändert. Was läuft da schief in der politischen Debatte?

Es geht immer um das Abwägen von Alternativen. Das Ziel, zukunftsfähiges Gewerbe ansiedeln zu wollen, ist ja, glaube ich unumstritten. Dann ist die nächste Frage, wie kann dieses Ziel erreicht werden. Die Erfahrung zeigt, dass es nie gut ist, eine Lösung als alternativlos darzustellen. Es gibt immer mehrere Wege, die alle Vor- und Nachteile haben. Varianten nebeneinanderzulegen ist daher sinnvoll. Wäre es eine Alternative, dass man erst mal Gewerbegebiete, die in Flächennutzungsplänen bereits ausgewiesen sind, aktiviert? Das ist dann vielleicht nicht in Dettingen. Was hätte das für Auswirkungen auf Gewerbesteuereinnahmen oder Beschäftigtenzahlen? Ganz einfach, in Alternativen denken. Das ist umso einfacher, je früher man in einem Prozess ist.

Das, was uns als Lokalpresse an Leserbriefen erreicht, könnte man auf die Kernfrage konzentrieren, wie viel Wachstum können wir uns noch leisten, um gut zu leben, und wie viel Einhalt braucht es, um dauerhaft zu überleben? Brauchen wir eine andere Definition von Wachstum in der öffentlichen Debatte?

Auf jeden Fall braucht es die öffentliche Debatte darüber. Man sollte deshalb nicht nur über ein einzelnes Gewerbegebiet reden, sondern über den gesamten Kontext. Das wäre sonst, als redete man über einzelne Windräder, aber nicht darüber, wie die Energiewende gelingen kann. Das Thema ist ja kein neues. Grenzenloses Wachstum, Club of Rome, das hatten wir schon vor vier Jahrzehnten. Unter dem Aspekt des Klimawandels stellt sich das Thema nun eben mit neuer Schärfe. Diesem Aspekt muss man in der Debatte deshalb Raum geben bei der Abwägung von Argumenten. Das kann übrigens ganz unterschiedlich ausgehen. In Schwieberdingen gab es vor einiger Zeit auch die Diskussion über ein interkommunales Gewerbegebiet. Da gab es auch eine Bürgerinformationsveranstaltung, dann sogar ein Ratsbegehren. Der Gemeinderat hat dort beschlossen, die Bevölkerung soll entscheiden. Die haben dann mit deutlicher Mehrheit für das Gewerbegebiet gestimmt.

Wir haben ein sogenanntes Superwahljahr. Die Grünen stehen im Land stabil bei über 30 Prozent. Laut Umweltbundesamt halten zwei Drittel der Bevölkerung Umwelt- und Klimaschutz für grundlegend. Nur 18 Prozent finden hingegen, dass die Bemühungen der Politik ausreichen. Ist das nur ein Problem der Wahrnehmung und der Kommunikation?

Das wäre, glaube ich, zu verkürzt. Das zeigt nur, dass die abstrakte Zustimmung zu Themen wie Umweltschutz in der Bevölkerung sehr hoch ist. Dass man jedoch erwartet, dass die Politik handelt. Wenn es darum geht, das eigene Verhalten anzupassen, wird zurückgerudert. Bei vielen Menschen gibt es eine große Kluft zwischen Anspruch und der Bereitschaft, durch eigenes Handeln einen Beitrag zu leisten. Das nennt man verhaltensparadox. Bei der Ausweisung von Gewerbegebieten erlebt man oft, dass sich Meinungen ändern, wenn sich Grundstückspreise entsprechend nach oben entwickeln. Den zweiten Punkt, den Sie ansprechen - natürlich versuchen alle Parteien, wenn eine Wahl vor der Tür steht, aus einem solchen Konflikt Honig zu saugen.

Warum ist der Weg vom erkennbar Notwendigen hin zu politischem Handeln so schwer?

Weil Richtungswechsel immer schwerfallen. Raucher, die nicht damit aufhören, obwohl sie wissen, dass es ihrer Gesundheit schadet oder Menschen, die zu viel essen, obwohl sich Krankheiten äußern. Es ist immer einfacher, Verantwortung auf andere zu projizieren. Dadurch entlastet man sich selbst.

Zurück zum Thema Bürgerbeteiligung. Was könnte da generell besser laufen?

Zunächst mal ist Baden-Württemberg in diesem Punkt sehr gut im Ländervergleich. Aus meiner Sicht ist vor allem ein Punkt wichtig, neben der guten Information bevor eine Beteiligung überhaupt beginnt. Das ist das stärkere Einbeziehen sogenannter Zufallsbürgerinnen und -bürger. Das sind Menschen, die über die Einwohnermeldeämter per Zufall ausgewählt und zu einem Dialog eingeladen werden zum Thema. Die ersetzen nicht die Gemeinderäte, aber sie liefern den Gemeinderäten den Input. Sie sind deshalb so wertvoll, weil sie oft anders als Bürgerinitiativen oder Organisationen mit einem freieren Blick an Themen herangehen und ganz unterschiedliche Fragen aufwerfen, ohne qua Organisation festgefahren zu sein. Solche Bürgergutachten haben sich überall, wo das gemacht wurde, in Bund und Land bewährt. Eine solche zusätzliche Perspektive ist auch wichtig, weil bei vielen Bürgerveranstaltungen zu Bau- und Infrastrukturprojekten eine bestimmte Personengruppe kommt, die nicht unbedingt repräsentativ ist für die Bevölkerung. Meist sind das ältere Herren mit Zeit und Expertise. Das ist zwar gut, aber andere Gruppen, die sind eben nicht dabei. Möglicherweise sogar die, die von einem Gewerbegebiet profitieren würden, weil sie dort später mal arbeiten. Es müssen nicht Menschen sein, die sehr viel wissen über das Thema. Dafür gibt es Experten, die man einladen kann. Diese Bürger sind dazu da, Fragen zu stellen. Im österreichischen Vorarlberg zum Beispiel stehen solche Bürgerräte sogar in der Landesverfassung.

Digitale Foren können Verfahren demokratisieren, sie können den sachlichen Austausch aber auch erschweren. Was sollte man in diesem Punkt tun und was besser lassen?

Auf soziale Medien würde ich da besser nicht schauen, weil man da häufig so eine Aufregungsspirale erlebt, die Konflikte verschärft, aber sie nicht löst. Es gibt aber auch gute Ansätze bei der Online-Beteiligung. Wenn man Bürgerinformationsveranstaltungen streamt und dort in einem Chat auch Fragen zulässt. Die können von jedem gestellt werden. Ein Moderator bündelt sie dann und speist sie ein. Das hat den Vorteil, dass man sehr viele Menschen erreicht. Auch die, die sich scheuen, in einer Stadthalle vor hundert Leuten öffentlich Fragen zu stellen.

Was wäre also ein kluges Vorgehen im Dettinger Verfahren?

Dass man sagt, es gibt, wie geschehen, eine Auftaktveranstaltung zur Information. Dann werden online Ideen gesammelt, strukturiert und auch moderiert. Das alles in einem begrenzten Zeitraum. Was dort an Input gesammelt wird, wird dann eingespeist in die Offline-Diskussionsrunden, etwa im Gemeinderat. Am Ende wird dann das Ergebnis wieder online dokumentiert.

Schon heute dauern Planfeststellungsverfahren bis zu zwei Jahre. Das Verfahrenstempo ist ein wesentlicher Kritikpunkt am Ruf nach mehr Bürgerbeteiligung. Wo verläuft für Sie die Grenze dessen, was sinnvoll ist?

Ich würde zunächst mal der Behauptung widersprechen. Wenn man Projektbeteiligte befragt, warum sie Bürgerbeteiligung machen, ist neben der gesellschaftlichen Akzeptanz das häufigste Argument: Wenn wir das frühzeitig machen und zu einer tragfähigen Lösung kommen, dann haben wir später im Planfeststellungsverfahren weniger Einwände, die möglicherweise vor Verwaltungsgerichten beklagt werden. Das lässt sich mit Zahlen belegen. Ein Beispiel dafür: In Immendingen wurde eine neue Teststrecke von Daimler gebaut ohne eine einzige Klage dagegen. Vor allem deshalb, weil sie dort sehr früh den Dialog mit allen Naturschutzverbänden gesucht haben und beide Seiten offen waren für Kompromisse. Das Problem sind viel eher die Genehmigungsverfahren. Die sind zum Teil wirklich viel zu lang. Daran sollte dringend was geändert werden.