Wernau. „Dieser Frühjahrsempfang steht im Zeichen des Zusammenhalts der Gesellschaft“, sagte der SPD-Kreisvorsitzende Michael Beck bei der Begrüßung. „Die neue Polizeistatistik macht mir Sorgen“, sagte Landtagsvizepräsident Wolfgang Drexler. „Im Jahr 2015 sind rechtsextreme Straftaten um 30 Prozent auf 13 850 Fälle gestiegen, darunter 921 Fälle mit Gewalt. Das sind über 35 rechtsextreme Straffälle pro Tag. Das hätte ich mir 71 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg nie vorstellen können, dass wir so etwas erleben.“ Das habe natürlich mit Hetze im Netz gegen Politiker, Journalisten und Ausländer zu tun. „Der Höhepunkt ist der Rücktritt des farbigen Pfarrers aus dem Kongo in Zorneding. Wir müssen aufpassen, dass die Mitte der Gesellschaft nicht von dieser Radikalität infiziert wird. Böhnhardt und Mundlos haben sich in den 1990er-Jahren radikalisiert in ihren Aktionen gegen Ausländer. Wir müssen aufstehen, die Meinung sagen, Bündnisse mit anderen schließen.“
„Nicht alle, die Sorgen haben, ob wir als Staat das schaffen, kommen aus der rechten Ecke“, sagte Maas. Es gebe für viele Ängste vernünftige Argumente. „Wir sollten nicht den Dialog verweigern.“ Er erwarte aber von den anderen „die Fähigkeit, zuzuhören“. Bei der Gewalt seien die Zahlen besorgniserregend mit im Vorjahr über 1 000 verfolgten Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte. „Die Straftaten gegen Flüchtlinge haben sich verfünffacht. Es handelt sich nicht um Beleidigungen, sondern um Brandstiftungen und schwere Körperverletzungen.“
Maas sprach ohne Manuskript – aber so geschliffen, als hätte er eines. Sei es schlimmer geworden mit dem Rassismus? „Bei den Straftaten ja, was die Grundeinstellung in unserer Gesellschaft angeht, glaube ich nein.“ Durch die sozialen Netzwerke werde das Maß an Fremdenfeindlichkeit nur jetzt viel deutlicher. „Mit der Digitalisierung sehen wir auch den hässlichen Teil der Gesellschaft. Es ist bitter nötig, sich damit auseinanderzusetzen.“ Es sei immer der gleiche Verlauf: „Erst sind es die Worte, danach kommen die Taten. Deshalb müssen wir im Netz anfangen.“
Zur Meinungsfreiheit gehörten auch hässliche Meinungen, aber nur, solange sie die Grenzen zur Strafbarkeit nicht überschreiten. Diese Grenzen seien relativ klar gezogen: Volksverhetzung, öffentliche Aufforderung zur Begehung einer Straftat, Bedrohung, Beleidigung. „Vor einiger Zeit ist ein Mann wegen fortgesetzter Volksverhetzung auf Facebook zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt worden, ohne Bewährung. Ich wünsche mir, dass sich dieses Urteil weit herumspricht.“
„Wir werden deutlich machen, dass der Rechtsstaat auf dem rechten Auge nicht blind ist“, versprach Maas unter Applaus. Überlegt würden Schwerpunktstaatsanwaltschaften und Spezialdezernate. Doch nicht nur der Staat habe Verantwortung, jeder habe sie – am Arbeitsplatz, beim Fußball, in der S-Bahn. „Jeder, für den Respekt einer der wichtigsten Werte für unser Leben ist, kann nicht schweigen. Es wäre schön, wenn die schweigende Mehrheit zeigt, dass sie die Mehrheit ist, die für ein tolerantes Deutschland ist. Es ist eine gute Zeit, um in Deutschland Haltung zu zeigen.“
Maas blickte auch über Deutschland hinaus. „Die Krisen dieser Welt sind globalisiert, diese Krisen kriegen alle ein Gesicht bei uns, es sind die Gesichter von Flüchtlingen. Die nächste Fluchtwelle wird durch den Klimawandel ausgelöst.“ In seine Sorge um Europa mischt sich bei Maas auch Zuversicht: Die Werte des Humanismus, entwickelt aus der Französischen Revolution, würden länger leben als so manche europäische Regierung.