Die Kunden der Volks- und Raiffeisenbanken im Kreis Esslingen haben im Corona-Jahr 2020 so viel gespart wie noch nie: Von 100 Euro haben sie 16 auf die hohe Kante gelegt. Neben dieser Rekord-Sparquote ist auch das Kreditgeschäft immens gewachsen, genauso das Anlagen-Geschäft. Dafür verzeichnet das Geldinstitut jedoch ein Negativ-Ergebnis bei den Zinseinnahmen und ein noch größeres Minus beim Ertrag. Dies sind die Eckpunkte der Jahresbilanz 2020 der sieben Volks- und Raiffeisenbanken im Kreis Esslingen.
Trotz Corona-Krise hätten die genossenschaftlich getragenen Geldinstitute ihre Marktposition weiter stärken können, sagte Heinz Fohrer, Vorsitzender der Bezirksvereinigung (BZV) und Vorstand der Volksbank Mittlerer Neckar, bei der Bilanz-Pressekonferenz. Vor allem wegen des starken Kreditgeschäfts sei 2020 ein gutes Jahr gewesen. „Die Volksbanken und Raiffeisenbanken im Landkreis Esslingen haben in der Krise für ihre 285 700 Kunden und 156 500 Mitglieder Verantwortung übernommen und einen enormen Infrastrukturbeitrag geleistet“, führte Fohrer weiter aus. Die meisten der 72 Bankfilialen seien trotz Lockdown weitestgehend erreichbar. Das bargeldlose Zahlen mit der Karte oder dem Smartphone habe sich während der Pandemie mehr denn je etabliert. „Der bargeldlose Umsatz steigt stark, der Bargeldumsatz schrumpft“, bringt Fohrer die wichtigsten Trends auf den Punkt.
„Hilfen viel zu spät ausbezahlt“
Nach vorläufigen Zahlen der BZV steigerten die Genossenschaftsbanken ihre Kreditvergabe 2020 gegenüber dem Vorjahr um 7,3 Prozent auf 5,7 Milliarden Euro. „Es ist unsere Aufgabe, gerade in dieser herausfordernden Zeit, den Privat- und Firmenkunden zur Seite zu stehen“, so Fohrer. Bei der Vergabe von Krediten und staatlichen Fördergeldern sei der Beratungsbedarf enorm hoch. Dass das KfW-Sonderprogramm für Unternehmen bis Ende Juni fortgeführt werde, sei zu begrüßen. „Damit erhält der Mittelstand eine unverzichtbare Überbrückungsleistung zur Wahrung der Liquidität.“ Während die Unterstützung durch KfW-Gelder sehr gut funktioniere, gebe es erhebliche Verzögerungen bei der Auszahlung der sogenannten Umsatzhilfe. Kritik übt Fohrer am Bund. Nach den großspurigen Ankündigungen hätten die Fördergelder an die Firmen viel schneller fließen müssen.
Bei akuten Problemen hätten die Volks- und Raiffeisenbanken ihren Kunden auch mit Kreditstundungen geholfen, zunächst mittels der gesetzlichen Moratorien, aber nahezu zeitgleich auch über flexible und individuelle private, die auch heute bei Bedarf noch möglich seien. Die Nachfrage nach Stundungen sei seit dem Sommer 2020 stark zurückgegangen und habe sich auch durch den erneuten Lockdown nicht wieder erhöht. Treiber des Kreditwachstums ist laut Fohrer die anhaltend rege Nachfrage nach Wohnbaukrediten. „Der Wunsch nach den eigenen vier Wänden ist weiter groß.“ Die Kundeneinlagen legten um 7,2 Prozent auf 6,8 Milliarden Euro zu.
Geld möglichst breit streuen
Den Zuwachs erklärt Heinz Fohrer zum überwiegenden Teil mit einer historisch hohen Sparquote. Aus Sorge vor Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit hielten viele Menschen einen großen Teil ihres Geldes zusammen, zudem bremsten die zeitweisen Schließungen im Einzelhandel den Konsum. Die BZV gehe von einer Sparquote von 16 Prozent aus, was nach Angaben des Vorsitzenden ein Rekordniveau bedeutet. Wegen des Zinstiefs solle man sich unbedingt beraten lassen. Je nach Zielsetzung und Lebenssituation sei eine breite Streuung der Gelder auch in andere Anlageformen wie Fonds oder Versicherungen nötig.
Die addierte Bilanzsumme der sieben eigenständigen Genossenschaftsbanken im Landkreis nahm um 9,1 Prozent auf 8,8 Milliarden Euro zu. Werden die Gelder dazugerechnet, die an die Verbundpartner der genossenschaftlichen Finanzgruppe vermittelt wurden, summiert sich das betreute Kundenvolumen auf über 17 Milliarden Euro (plus 6,6 Prozent).
Dass die Europäische Zentralbank (EZB) seit 2014 Negativzinsen auf Einlagen der Banken, die sie dort kurzfristig parken, erhebt, habe für die Genossenschaftsbanken schmerzliche Folgen. Denn der Zinsüberschuss sei um 3,4 Prozent auf 140 Millionen Euro zurückgegangen. Zu befürchten sei eine weitere Absenkung, die dann eine breite Weitergabe dieser Negativzinsen unumgänglich machen würde, so Fohrer. Als Folge der Pandemie werde beim Zahlen im Handel noch mehr als sonst Girocard oder Kreditkarte genutzt. Gleiches gelte für das kontaktlose Zahlverfahren. Die Bargeldauszahlungen in der Bank sind laut BZV 2020 um 26 Prozent zurückgegangen. Deutlich gewachsen ist dagegen die Nutzung der Online-Banking-Angebote. Das Ergebnis der normalen Geschäftstätigkeit beläuft sich zum Jahresende auf 53 Millionen Euro und schmälerte sich damit um 11,5 Prozent. Als Hauptursachen dafür nennt Vorstand Heinz Fohrer den weiteren Rückgang der Zinseinnahmen und hohe Investitionen in die Digitalisierung.
Für die Jahre 2021 und 2022 sei eine steigende Zahl von Firmeninsolvenzen zu erwarten. Gleichzeitig müsse man in der zweiten Jahreshälfte 2021 mit mehr Risiken im Kreditbereich rechnen. Doch gibt sich Bank-Vorstand Fohrer zuversichtlich: „Die Genossenschaftsbanken besitzen dank ihres Geschäftsmodells und ihrer guten Eigenkapitalausstattung die nötige Widerstandskraft, um die Auswirkungen der Corona-Krise zu bewältigen.“