Er ist weithin sichtbar und dennoch unnahbar: Der höchste Kirchturm in der Region Stuttgart ist jener der Frauenkirche in Esslingen. 73,5 Meter ist er hoch. Weil er für die Öffentlichkeit nur an ausgewählten Tagen zugänglich ist, ist er auch ein einsamer Ort, der sich nur aus der Ferne bewundern lässt. Einzige Ausnahme: Der Tag des offenen Denkmals, der dieses Jahr am 8. September stattfindet. An diesem Tag ist der Himmel einen Spalt weit geöffnet – es gibt Führungen auf den Turm.
Der Weg nach oben ist mühevoll. Es ist eng, die Steinstufen sind teilweise steil. Wer das erste Plateau erreicht, erhält dafür einen überwältigendem Blick auf die Esslinger Altstadt und auf die vielen Figuren auf Turm und Dach.
Außergewöhnliche Entstehung
Die Frauenkirche gehört architektonisch und kirchenhistorisch zu den bedeutendsten Baudenkmälern Baden-Württembergs. Sie gilt als die früheste gotische Hallenkirche in Südwestdeutschland. Zudem hielt in dieser Kirche die Reformation 1531 Einkehr in Esslingen – drei Jahre, bevor Württemberg evangelisch wurde. Auch ihre Entstehung ist außergewöhnlich. Die benachbarte Stadtkirche stand unter dem Zepter des Domkapitels Speyer. Der selbstbewussten Bürgerschaft in Esslingen gefiel es nicht, dass sie hier wenig Einfluss hatte und ihre Spenden nach Speyer flossen, anstatt in Esslingen zu bleiben. So entstand die „Kirche zu unserer lieben Frau“, die durch die Spenden der Bürgerschaft finanziert wurde. Baubeginn war 1325. „In den kommenden Jahrhunderten gab es immer wieder Baupausen, geschuldet bestimmten Nöten wie der Pest“, so der Pfarrer Christoph Bäuerle. Der Turm entstand gegen Ende der Bauzeit zu Beginn des 16. Jahrhunderts – am Vorabend der Reformation. Und auch seine Bauzeit erstreckte sich über eine lange Zeit: So wie er jetzt dort steht, wurde er erst im 19. Jahrhundert vollendet.
Die Frauenkirche ist immer noch „in Betrieb“ – zu besonderen Gelegenheit finden dort Gottesdienste statt. Früher beherbergte sie im Winter die Esslinger Vesperkirche Nach wie vor gibt einige Schulgottesdienste und ein Mal im Monat einen Frühgottesdienst. „Die Kirche ist täglich geöffnet“, sagt Bäuerle und ist sich dabei bewusst, dass sie damit ein gewisses Risiko eingeht. Denn „es gab Probleme, die Tür zur Sakristei wurde schon einmal aufgestemmt, eine Opferbüchse aufgebrochen“. Was für den Dieb enttäuschend endete: Die Büchse wird ständig geleert.
Der Teufel hat einen Platz
Was bereits von unten und von außen ist erkennbar ist: Der gotische Bau ist stark verschnörkelt und voller Figuren. Eine davon ist der Teufel, der mit einer Zwiebel droht. Die Figur auf dem Dach der Kirche kam erst spät im 19. Jahrhundert zu der Kirche, die zu diesem Zeitpunkt schon über 300 Jahre lang ihre Dienste getan hatte. und spielt auf die Esslinger Legende an, bei der eine Marktfrau dem Teufel eine Zwiebel statt einem Apfel reicht. Der Teufel biss hinein und verfluchte die Esslinger: Sie sollten nicht länger Esslinger heißen, sondern Zwieblinger.