Esslingen. Dem Esslinger Landrat Heinz Eininger ist die Betroffenheit deutlich anzumerken: „Ich bin total bestürzt über diese Situation“, sagte er am Montag in einem spontanen Pressegespräch über die massiven Raketenangriffe der Hamas auf Israel. Seit Samstag stehe er in besonders engem Kontakt mit Ran Kunik, dem Bürgermeister von Givatayim. Die israelische Partnergemeinde des Landkreises Esslingen grenzt unmittelbar an die Großstadt Tel Aviv. Außer von mehreren Raketeneinschlägen in Tel Aviv berichtet Heinz Eininger auch von einem Treffer in Givatayim.
„Für uns ist das eine besondere Situation – nicht zuletzt deshalb, weil der Sohn von Ran Kuniks Stellvertreterin bei den Angriffen ums Leben gekommen ist. Dadurch bekommt das eine ganz eigene Dramatik“, sagt Heinz Eininger. Ende Oktober hätte eigentlich eine Delegation des Landkreises Esslingen die israelischen Partner – und Freunde – in Givatayim besuchen sollen. Die Reisevorbereitungen sind am Samstag abrupt zu Ende gegangen: „Der Angriff hat ausgerechnet am Samstag begonnen, am Schabbat.“
Das erinnert an den Jom-Kippur-Krieg, der fast auf den Tag genau 50 Jahre vor den jetzigen Angriffen begonnen hat – um eine möglicherweise verminderte Verteidigungsbereitschaft am Feiertag auszunutzen. Der Jom-Kippur-Krieg endete 1973 nach nicht ganz drei Wochen mit einem Waffenstillstand. Die aktuelle Lage dagegen schätzt Landrat Eininger ganz anders ein: „Das ist kein Konflikt, der schnell beendet wird.“ Wenn Israel jetzt 300 000 Zivilisten mobilisiere, sei das keine Kleinigkeit. Auf die Einwohnerzahl berechnet, würde diese Größenordnung in Deutschland der Mobilisierung von knapp 2,8 Millionen Reservisten entsprechen.
Über den Alltag in Givatayim, der sich seit Samstag radikal verändert hat, kann Heinz Eininger keine Details nennen. Er sagt dazu nur einen einzigen Satz. Aber dieser eine Satz spricht trotz der scheinbar lapidaren Formulierung ganze Bände: „Die Luftschutzkeller sind in reger Benutzung.“ Dann schiebt er doch noch etwas nach: „Unsere Freunde leben dort jetzt in großer Not, und was das bedeutet, können wir aus unserer Lage nur sehr begrenzt ermessen.“
Eine wichtige Kontaktperson für Heinz Eininger ist Gila Shalev. Die ehemalige Lehrerin am ORT-Technikum ist seit vielen Jahren das Gesicht des Austauschs zwischen Givatayim und dem Landkreis Esslingen: „Wir telefonieren regelmäßig. Vor wenigen Wochen hat sie uns privat in Deutschland besucht. Wir waren voller Hoffnung für die Delegationsreise. Wir hatten uns sehr darauf gefreut.“
Ähnlich geht es einer Gruppe der Nürtinger Philipp-Matthäus-Hahn-Schule, die bereits für diese Woche in Givatayim angemeldet war. Auch deren Reise wurde nun zwangsläufig abgesagt – und die Betroffenen können sich glücklicher schätzen als die zwölfköpfige Reisegruppe der Kirchheimer Jakob-Friedrich-Schöllkopf-Schule. Deren Reise hat sich am Samstag vom Traum zum Alptraum gewandelt: „Wir setzen alle Hebel in Bewegung, um diese Gruppe so schnell wie möglich nach Deutschland zurückzubringen.“
Vorwürfe an die israelische Regierung
Zu den politischen Auswirkungen in Israel nimmt Heinz Eininger ebenfalls Stellung: „Innerhalb Israels gibt es jetzt einen enormen Druck auf die Regierung, der man vorwirft, den Schutz der Bevölkerung aus Richtung Gaza gegenüber dem Schutz aus Richtung West Bank vernachlässigt zu haben. Viele sind deswegen jetzt auf die Regierung Netanjahu nicht gerade gut zu sprechen.“
Am Ende des Gesprächs wird es persönlich: „Seit 40 Jahren besteht unsere partnerschaftliche Verbindung zu Givatayim. Unser Landkreis feiert dieses Jahr sein 50-jähriges Bestehen. Givatayim hatte im vergangenen Jahr seinen hundertsten ,Geburtstag’. Das alles hätten wir jetzt gemeinsam feiern wollen.“ Das Feiern ist aber nur das eine, das gemeinsame äußere Bekenntnis zur innerlichen wie auch innigen Freundschaft. Zu dieser Innigkeit sagt der Landrat: „Für uns ist die Beziehung zu Givatayim schon immer etwas Besonderes. Sie ist uns ein Herzensanliegen.“ Deshalb geht ihm auch die aktuelle Lage so sehr ans Herz – und an die Nieren. Andreas Volz