Zwischen Neckar und Alb
Fünf Jahre sind keine Zukunft

ÖPNV Beim turnusmäßigen Beschluss des neuen Nahverksplans im Kreis bleibt ein schales Gefühl zurück. Als Kompass in ein neues Mobilitäts-Zeitalter taugt das Papier nicht. Von Bernd Köble

Nürtingen liegt zwar nicht in der Mancha, hier gibt es keine Windmühlen, gegen die sich mutig anreiten ließe und doch erinnert manch ewiger Kampf an Cervantes klassischen Helden Don Quijote vor vierhundert Jahren. Peter Rauscher, Linken-Kreisrat aus der Hölderlinstadt, hat als altgedienter Kommunalpolitiker schon manche Schlacht geschlagen und dabei auch das eine oder andere Phantom gejagt. Augenrollen beim politischen Gegner, dann und wann ein mildes Lächeln begleiten seit vielen Jahren
 

„Wir sind dabei, alles zu wollen und vergessen dabei, wer es bezahlt.“
Heinz Eininger
Der Landrat zur Debatte um den Nahverkehrsplan

 

seine Forderung nach einem Billig-Abo für sozial Schwache im Nahverkehr. Plötzlich scheint sich der Wind zu drehen. Das Sozialticket, das Rauscher gebetsmühlenartig einfordert, ist für viele zwar noch immer unfinanzierbar, doch immerhin: Man redet darüber und zieht es zumindest rechnerisch ins Kalkül.

Busse und Bahnen brauchen einen Weg in die Zukunft und die Politik in Land, Kreisen und Kommunen tut sich mit der Suche schwer. Mit Schuljahresbeginn im September soll es im Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS) flächendeckend das 365-Euro-Jahresticket für Schüler, Auszubildende und Studenten geben. SPD, Grüne und Linke im Kreistag sehen darin den Einstieg in ein verbilligtes Jahresticket für alle, das die Finanzierungspartner im Verbund geschätzte 150 Millionen Euro kosten würde. In den Partnerlandkreisen wird derweil erst noch gerechnet, an welcher Stelle sich das Geld fürs Nahziel im September aus den dürren Rippen schneiden ließe. Schließlich wird die Debatte wegen Corona nicht nur von der schwersten Krise der Verkehrsbetriebe seit Kriegsende begleitet, sondern auch von der Diskussion über einen Mobilitätspass als Teil der landesweiten ÖPNV-Strategie bis 2030 mit neuen Fahrzeugen, dichteren Takten, einer besseren Vernetzung und günstigeren Tarifen.

Vor diesem Hintergrund hat der Landkreis jetzt seinen eigenen Nahverkehrsplan für die kommenden fünf Jahre überarbeitet. Dafür gab es von politischer Seite viel Lob – allerdings nur für Fleißarbeit. 371 Seiten füllen die mehr als 600 Wünsche, Anregungen und Forderungen von Fraktionen, Kommunen und sogenannten Trägern öffentlicher Belange. Es geht um ein verbessertes Basisangebot, mehr Barrierefreiheit, Erleichterungen bei der Fahrradmitnahme oder um Busverbindungen auf Bestellung, die in unterversorgten Gebieten die seitherigen Ruftaxis ersetzen sollen. Die Verbesserungen sollen mit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2023 kommen, allerdings steht fast alles unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit. 

Das gilt auch für einen gemeinsamen Antrag von SPD und Grünen im Zuge der Haushaltsberatungen, der zum Ziel hat, alle weiterführenden Busverbindungen an die tatsächlichen Takte auf der Schiene anzupassen. Wer aus der S-Bahn aussteigt, soll so die Garantie haben, dass ihn ein Bus jederzeit nach Hause bringt. Viel Konjunktiv, wenig Belastbares – im Kreisfinanzausschuss wollte beim Beschluss des Planwerks deshalb keine rechte Freude aufkommen. Die Grünen verweigerten gar ihre Zustimmung und enthielten sich. Was beschlossen werde, verbaue zwar nichts, es werde den tatsächlichen Bedürfnissen aber nicht gerecht, so das Urteil von Fraktionssprecher Rainer Moritz.

Für Landrat Heinz Eininger (CDU) steht fest: „Wir sind dabei, alles zu wollen und vergessen dabei, wer es bezahlt.“ Was von allen Fraktionen vermisst wird, ist der Blick aufs große Ganze. Der Nahverkehrsplan sei nicht mehr das geeignete Mittel, um die entscheidenden Zukunftsfragen aufzugreifen, stellte SPD-Sprecher Steffen Weigel fest. Der Kreis müsse eigene Vorstellungen zur Zukunft des ÖPNV entwickeln, die über den fünfjährigen Planzyklus hinausreichten. Weigel: „Wir brauchen einen längerfristigen Prozess und dazu das passende Format.“ Ein solches wollen Verwaltung und Kreistag auf Antrag der SPD im neuen Jahr nun gemeinsam mit Verkehrsexperten erarbeiten.

 

Freie Sicht statt Werbung

Werbeaufkleber auf Fensterscheiben von Bussen sind offenbar ein Ärgernis für viele Fahrgäste. Darauf hat die Stadt Kirchheim in ihrer Stellungnahme zum Nahverkehrsplan hingewiesen. Aus der Bevölkerung würden immer wieder Beschwerden laut, weil die Sicht aus dem Fenster durch Werbung eingeschränkt sei. Vor allem für Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung könne das zum Problem werden, heißt es seitens der Stadt. Sie fordert daher, dass Scheibenflächen frei von Werbung bleiben und dies auch entsprechend kontrolliert werde. Bisher dürfen maximal zehn Prozent der Scheibenfläche beklebt werden.
Die Kreisverwaltung lehnt ein generelles Verbot ab, hat aber angekündigt, die Anregung werde bei der Überarbeitung der Standards in den Verbundlandkreisen berücksichtigt und im Frühjahr im Finanzausschuss des Kreistags behandelt. Die Werbung sei ein Baustein bei der Finanzierung der Leistungen, heißt es.  bk