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Fünf junge Frauen erobern das Backhaus in Hepsisau

Dorfleben Sie haben sich zusammengetan, um die Tradition im Backhaus Hepsisau fortzuführen – mit Familienrezepten, Experimenten und ganz viel Gemeinschaft. Von Bianca Lütz-Holoch

Je näher das Ende der Backzeit rückt, desto mehr steigt die Spannung im Hepsisauer Backhaus. Zum ersten Mal haben Sophia Berleth, Yvonne Bernauer, Marina Kaufmann, Susanne Wolf und Selina Wolferstätter den Teig für Bätscher, Brot und Schneckennudeln in ihrer eigenen Teigmaschine hergestellt. „Unsere erste Großinvestition“, scherzen die Frauen und erzählen, wie sie den 300 Kilogramm schweren Koloss gebraucht bei einer Bäckerei in Zweifalten erstanden und mit Hilfe ihrer Männer per Pickup nach Hepsisau gekarrt haben. Aus der spontanen Idee, einen Backtreff zu gründen, ist mittlerweile eine feste Institution geworden: Alle sechs bis acht Wochen treffen sich die fünf Frauen – alle Mütter Mitte Dreißig — zum gemeinsamen Backen. Sie führen damit nicht nur eine jahrhundertealte Tradition fort, sondern bringen auch jede Menge frischen Wind in das Hepsisauer Backhaus.

 

Wenn niemand weitermacht, gehen mit der älteren Generation auch Wissen und Rezepte verloren.
Marina Kaufmann

 

Begonnen hat alles 2021, irgendwo zwischen Hepsisau und Neidlingen. Sophia Berleth und ihre Nachbarin Selina Wolferstätter waren damals zu Fuß mit den Kinderwagen zum Babytreff nach Neidlingen unterwegs gewesen. „Selina hat erzählt, dass sie mit der Feuerwehr gebacken hat“, erinnert sich Sophia Berleth. „Da habe ich gefragt, ob wir vielleicht mal mit Yvonne und Susi zusammen im Backhaus backen wollen.“ Als Marina Kaufmann vor der Idee hörte, schloss sie sich spontan an: Die Backgruppe war gegründet.

Jede Menge Bätscher - in traditionellen und neuen Varianten. Foto: Carsten Riedl

Gemeinschaftliches Backen – das hat in vielen Dörfern und Städten eine lange Tradition. Entstanden sind die meisten Backhäuser ab dem 16. Jahrhundert. Damals war der Betrieb der hauseigenen Öfen wegen der Brandgefahr und des hohen Holzverbrauchs verboten worden. In Hepsisau steht das Backhaus seit 1847 in der Ortsmitte. Dort haben auch schon Großmütter, Großtanten und Schwiegermütter der Frauen gebacken. Ihre Mütter oft schon nicht mehr. „Sie waren berufsstätig und hatten nicht mehr so viel Zeit“, sagt Sophia Berleth.

Susanne Wolf streut Kleie auf den Teigrohling, bevor er per Schapf in den Ofen eingeschossen wird. Foto: Carsten Riedl

Das Backhaus weckt bei der ein oder anderen trotzdem Kindheitserinnerungen: „Bätscher, Brot und alles, was aus dem Backhaus kam – das war ein Highlight für uns Kinder“, erzählt Marina Kaufmann, deren Großeltern früher eine Gaststätte in Hepsisau hatten. Heute ist das nicht anders. Vorm Backhaus trudeln die Männer und Kinder der fünf Frauen ein, lassen sich auf der Bank am Bach nieder und warten, bis die ersten Leckereien aus dem Ofen kommen. 

Backen wird zum Familienevent

„Wenn wir backen, ist das immer ein richtiges Familienevent“, sagt Yvonne Bernauer. Nachem Brote und Bätscher oder auch mal Zwiebelkuchen und Pizza fertig sind, setzen sich alle noch zusammen und essen. Die Erwachsenen unterhalten sich, die Kinder spielen miteinander. Backen im Backhaus – das war und ist gelebte Dorfgemeinschaft. 

Beim Einschießen der Brote. Foto: Bianca Lütz-Holoch

 „Uns ist es wichtig, dass die Tradition weitergeführt wird“, betont Marina Kaufmann. Immer mehr ältere Frauen verabschieden sich in den Back-Ruhestand. „Und wenn niemand weitermacht, gehen mit der Generation auch Wissen und Rezepte verloren.“ Knowhow rund ums Anfeuern, Teig machen und Brote in den Ofen „einschießen“ haben die fünf Frauen ebenso von älteren Backfrauen übernommen wie deren Equipment: Schüsseln, Bleche und einen Schapf, die Einnetzschüssel mit Stiel, mit der die Teigrohlinge in den Ofen geschoben werden.

Beim Krähle binden. Foto: Bianca Lütz-Holoch

Die Frauen kreieren neben dem typischen Backhausbrot und Bätschern mit Schmand, Kümmel und Schnittlauch aber auch Leckereien, die nicht typisch fürs Backhaus sind: zum Beispiel Flammkuchen oder Pizza-Bätscher. „Die mögen unsere Kinder viel lieber als die mit Kümmel“, sagt Marina Kaufmann. Süße Variationen der Fladen und Schneckennudeln mit Zimt oder Nüssen kommen beim Nachwuchs ebenfalls gut an. Jetzt, wo sie ihre eigene Teigmaschine haben, wollen die Jung-Backfrauen noch viel mehr experimentieren: „Wir würde gerne mal Brote mit Roggen und Dinkel ausprobieren“, sagt Sophia Berleth. Außerdem stehen Knautzenwecken und Seelen auf der Wunschliste.

Während die Frauen Krähle binden, spielen die Kinder im Rindenmulch. Foto: Bianca Lütz-Holoch

Eine Fünfergruppe, da sind sich die Frauen einig, ist die perfekte Größe. „Allein im Backhaus backen geht gar nicht“, weiß Susanne Wolf, die schon  früher mit ihrer Schwiegermutter im Backhaus war und mittlerweile als Hepsisauer „Backhausfrau“ auch für Termin- und Losvergabe zuständig ist. „Zum Anzünden und zum Einschießen der Brote braucht man immer noch jemanden.“  Eine der Frauen kann dann auch ein Auge auf die Kinder haben. Und wenn jemand krank wird, muss das Backen trotzdem nicht ausfallen.

Krähle binden in der Obstanlage

Bei manchen Arbeiten sind eigentlich auch zehn Hände nicht genug, zum Beispiel beim Krähle machen, dem Herstellen des traditionellen Anzündholzes. Am Donnerstag vor dem Backtag treffen sich die Frauen in der Obstanlage des Obst- und Gartenbauvereins Hepsisau. Während die Kinder auf einem Hackschnitzelberg neben einem gefällten Baum spielen, schneiden die Frauen Zweige und binden sie mit vereinten Kräften in einer alten Krählesmaschine zu den typischen Päckchen. Zehn Krähle, mehr ist an diesem Nachmittag trotzdem nicht drin. Zum Vergleich: Sieben braucht es alleine, um einen der zwei großen Öfen im Backhaus anzufeuern. „Da müssen wir nochmal ran“, stellen sie fest. Das frische Holz allerdings darf nicht gleich benutzt werden, sondern muss erst einmal trocknen. Bis ihr eigener Vorrat steht, springt die Dorfgemeinschaft ein:  „Wir durften uns Krähle ausleihen und geben dann frische zurück”, erklärt Marina Kaufmann.

Hinter dem Brot steckt viel Arbeit

„Viele wissen gar nicht, wie viel Arbeit hinter einem Backhausbrot steckt“, betont Yvonne Bernauer. Dieses Mal sind die Frauen gleich drei Tage hintereinander in Sachen Backtag unterwegs: Donnerstag: Krähle machen. Freitag: Teig vorbereiten. Samstag: Backen. 

Frisches Brot aus dem Backhausofen. Foto: Bianca Lütz-Holoch

Kurz nach Mittag wagen die Frauen an diesem Samstag den ersten Blick in den Ofen. Die Backzeit ist fast um. Ob die Brote wohl gelungen sind? „Die hier sind super geworden“, stellen sie bei den ersten Exemplaren fest. Bei einigen Laiben dagegen lautet das kritische Urteil: „Zu flach“ – ein rein optisches Problem, denn geschmacklich können die Brote vollkommen überzeugen.

Perfekt sehen dafür die Bätscher aus, die schon fertig und etwas abgekühlt auf Tischen und Bänken im Backhaus stehen  – und sie schmecken auch so: Immer wieder schauen Freunde und Bekannte vorbei und bekommen einen Fladen zugesteckt. „Au, die sind ja wirklich super“, entfährt es einem, als er in den luftig-knusprigen, lauwarmen Teig beißt.

Vor allem die Bätscher mit Tomatensoße frieren die Frauen gerne ein und backen sie später wieder auf – wie eine Pizza mit Käse, Schinken und anderem belegt. „Das ist sehr praktisch“, sagt Sophia Berleth. Auch die gut zwei Dutzend Brote und die Schneckennudeln teilen die Frauen unter sich auf. Am Ende des Backtags steht fest: Die Investition in die Teigknetmaschine – und den dafür notwendigen Starkstromanschluss – hat sich gelohnt. Klar ist angesichts von Bollerwagen voller Brot, Schneckennudeln und Bätschern aber auch: Sie ist nicht das einzige Gerät, das eine Backfrau braucht: „Wir haben auch alle große Gefriertruhen“, sagt Sophia Berleth und lacht.