Fünf Kommunen aus dem Kreis Esslingen haben eine Klage beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg gegen die neue Route für Abflüge vom Stuttgarter Flughafen in Richtung Süden auf den Weg gebracht. Die neue Strecke soll ab 23. Februar ein- bis zweimal pro Stunde geflogen werden. Den Klägern Nürtingen, Wolfschlugen und Aichtal schließen sich nun auch die Gemeinden Denkendorf und Neuhausen an. „Diese breite Basis ist ein positives Zeichen“, sagt Nürtingens Oberbürgermeister Johannes Fridrich. Die Hölderlinstadt wird eine sogenannte Musterklage für die anderen Kommunen mit führen.
Nach dem monatelangen politischen Streit sollen nun also die Mannheimer Richter das letzte Wort haben – sofern die sogenannte Feststellungsklage zugelassen wird. Der Rechtsanwalt Stephan Spilok von der Stuttgarter Kanzlei Kasper Knacke bereitet die Klage nun vor. Die neue Route, für die die Fluglärmkommission im Juli 2022 mit denkbar knapper Mehrheit votiert hatte, bleibt umstritten. Initiativen haben 15 000 Unterschriften gegen die Pläne gesammelt. Dass „mitten im laufenden Verfahren“ die schwer betroffenen Neckartal-Gemeinden Altbach und Deizisau in die Fluglärmkommission berufen wurden, löste Ärger aus. Sie hatten sich seit Jahren um die Aufnahme bemüht. Zunächst war die Rede davon, dass durch die neue Route bis zu 90 000 Menschen entlastet würden. Ein unabhängiges Gutachten ergab, dass es sich um „Verschiebungen im Promillebereich“ handele, wie es Ostfilderns Oberbürgermeister Christof Bolay, der Vorsitzende der Fluglärmkommission, ausdrückte.
Zwei rechtliche Angriffspunkte sieht der Nürtinger Rathauschef Fridrich, selbst promovierter Jurist und früherer Richter am Stuttgarter Landgericht, für die Feststellungsklage. „Wir in Nürtingen hatten im Planfeststellungsbeschluss für den Flughafen Stuttgart nie die Möglichkeit, uns zu äußern, da die Pläne nie ausgelegt waren.“ Von der neuen Route sind die Stadtteile Hardt und Oberensingen stark betroffen.
Ein weiterer Angriffspunkt ist für Fridrich die Sicherheit. Zwar steht für ihn außer Frage, dass die neue Route sicher ist. Dennoch habe man von Vorschriften der International Civil Aviation Organization (ICAO) abweichen müssen, um sie realisieren zu können: „Darf man eine Flugroute ändern, die definitiv nicht sicherer ist als die alte?“ Der Jurist fragt sich, ob eine Route nicht ausschließlich aus Sicherheitsgründen geändert werden dürfe. Die betroffenen Kommunen mutmaßen, es könnten wirtschaftliche Gründe hinter der Änderung stehen.
Der Ausgang ist offen
Die Feststellungsklage sei jetzt „die einzige Möglichkeit“, noch gegen die Rechtsverordnung anzugehen, die seit Mitte Dezember in Kraft ist, so Fridrich. Der Ausgang sei offen, und es gebe hohe Hürden. Dennoch ist der Nürtinger Rathauschef zuversichtlich. Und er sieht es als die Pflicht der Kommunalpolitiker an, „die Interessen der Menschen zu vertreten“. Dass die Flugroutendebatte und die denkbar knappe Entscheidung in der Kommission „die kommunale Familie derart gespalten haben“, empfindet Fridrich als bitter. Ihm ist es wichtig, weiter öffentlich zu diskutieren: „Bei jeder Autobahn- oder Eisenbahntrassenänderung würde der Streit öffentlich geführt werden, dies muss im Sinne der Transparenz auch für Flugrouten gelten.“ Er geht davon aus, dass der Streit über Jahre nicht zur Ruhe kommt.
Der Jurist legt Wert darauf, dass die Kommunen den Probebetrieb auf der neuen Route mit Messungen begleiten. Die Fluglärmkommission hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet, der auch Wolfschlugens Bürgermeister Matthias Ruckh angehört. Die Gemeinde ist nicht Mitglied der Kommission. „Es ist wichtig, die Messwerte vor und nach der Änderung zu dokumentieren und die Erfahrungen der betroffenen Bürger in den Blick zu nehmen“, sagt Ruckh. Nach einem Jahr soll der Probebetrieb ausgewertet werden – dann wird erneut entschieden. Ruckh hatte dafür votiert, dass in den neu betroffenen Nürtinger Stadtteilen jeweils eine Messstation aufgestellt wird. Eine Anlage im Oberensinger Gänsackerweg wurde jedoch abgelehnt.
Welche Kosten kommen durch den Rechtsstreit auf die Kommunen zu? „Der größte Teil entfällt auf die Anwaltskosten“, sagt der Jurist Fridrich. Insgesamt geht er von Kosten um die 40 000 Euro aus, die aus den öffentlichen Haushalten finanziert würden. Diese Kosten teilen sich die Kommunen. Die Klage einzureichen koste pro Kommune 2500 Euro. Zwar sind Neckartailfingen und Walddorfhäslach nicht direkt von den Änderungen betroffen, aber sie beteiligen sich an den Kosten. „Uns ist es wichtig, ein Zeichen zu setzen“, sagt Neckartailfingens Bürgermeister Wolfgang Gogel. Daher unterstütze man die Klage. Er kritisiert das Verfahren der Flugroutenänderung scharf.
Verständnis für die Belastung in den Neckartal-Kommunen hat Fridrich durchaus. Aber: „Durch die Routenänderung werden sie nicht wirklich entlastet, denn die meisten Flüge werden weiter über die alte Strecke geführt.“ Um den Lärm zu mindern, wünscht er sich größere Maschinen und weniger Flüge.
Die Feststellungsklage
Klage Verwaltungsgerichte können im Rahmen einer Feststellungsklage ein Rechtsverhältnis überprüfen und gegebenenfalls für nichtig erklären. Dies setzt voraus, dass der Kläger ein berechtigtes Interesse hat. Auch Verwaltungsakte können auf ihre Rechtmäßigkeit hin geprüft werden.
Kommunale Kläger Nürtingen will eine Musterklage anstrengen. Wolfschlugen, Aichtal, Denkendorf und Neuhausen beschreiten ebenfalls den Klageweg. Unterstützt werden sie von Neckartailfingen. Auch Walddorfhäslach unterstützt laut Bürgermeisterin Silke Höflinger die Initiative und prüft eine eigene Klage. eli