Bei der Regionalversammlung der Diakonie in Esslingen stellte Eberhard Haußmann, Geschäftsführer des Kreisdiakonieverbands, die Ergebnisse einer Umfrage bei den 28 diakonischen Trägern im Landkreis vor.
Insgesamt arbeiten im Landkreis Esslingen gut 3500 Menschen bei der Diakonie. Aktuell gibt es 280 offene Stellen. Das Durchschnittsalter der Beschäftigten liegt bei 47 Jahren. Aus demografischen Gründen erwarten die Träger bis 2030 einen Bedarf von rund 500 Neueinstellungen. Es kam schon vor, dass eine Kita oder Wohngruppe wegen Personalmangel geschlossen werden musste, auch Öffnungszeiten wurden reduziert. Die Träger reagieren mit Umschichtungen, Mehrarbeit oder versuchen, Lücken mit Zeitarbeit zu schließen. Die Diakonie im Landkreis kann aktuell auf rund 1000 Ehrenamtliche zählen. Doch auch bei ihnen sinkt die Zeitspanne, für die Menschen sich binden. Der Mangel betreffe alle Bereiche, sagte Haußmann, die Pflege genauso wie die Erziehung. In den nächsten Jahren seien weitere Schließungen zu erwarten, die Belastung der Mitarbeiter nehme zu. Er sehe leider „kein Licht am Horizont“.
Es gehe „um die Suche nach dem Lichtschalter“, sagte dazu Volker Steinbrecher von der Diakonie Württemberg. Dass es den einen Schalter nicht gibt, zeigt die Diskussion schnell. „Wir müssen als Branche werben, nicht gegeneinander“, sagte die Nürtinger Dekanin, Christiane Kohler-Weiß. „Die Leute, die in der Diakonie arbeiten, sind in der Regel hoch zufrieden“, beobachtet sie, hört aber zugleich von „völlig unsinnigen Regeln“.
Es braucht eine weitere Öffnung
Manche Regeln haben die Kirchen selbst gemacht und können sie nur selbst beseitigen. So bewarb sich ein ehemaliger Katholik, der die Nächstenliebe im Herzen trug, aber vor kurzen wegen der Missbrauchsskandale ausgetreten war. Ohne Kirchenmitgliedschaft durfte er laut den gültigen arbeitsvertraglichen Regeln nicht eingestellt werden. „Es braucht weitere Öffnungen“, sagte der Esslinger Dekan Bernd Weißenborn, Vorstandsvorsitzender der Diakonie im Landkreis Esslingen.
Andere höchst hinderliche Regelungen kommen vom Staat. Ingrid Gunzenhauser von der Bruderhaus Diakonie berichtete von einem Spanier mit Bachelor, der laut Ausländeramt ein komplettes Anerkennungsverfahren durchlaufen muss. „Er wartet ein Jahr lang auf Anerkennung, solange muss ich ihn als Hilfskraft beschäftigen.“ Sie ist ebenso überzeugt: „Wir brauchen niederschwellige, neue Berufsbilder mit angemessener Bezahlung, etwa die interkulturelle Alltagsbegleiterin.“
Tanja Herbrik erlebt es beim Kreisdiakonieverband immer wieder, dass Bewerber zusagen und dann drei Tage später doch wieder absagen: „Wir sind in starker Konkurrenz.“ Eine positive Auswirkung des veränderten Arbeitsmarktes sei aber, dass auch Langzeitarbeitslose wieder eine Chance bekämen. Zugleich werde es schwieriger, die nötige Betreuung personell zu stemmen.
Gunther Seibold, Dekan in Bernhausen, sieht die Vernetzung von Diakonie und Kirchengemeinden als große Chance. So gelinge es, Menschen mit kirchlicher Bindung für die Diakonie zu gewinnen. „Der kirchliche Tarif ist nicht schlecht.“ Kritisch sieht er mögliche Werbeprämien: So könne jemand womöglich am selben Ort vom einen zum anderen Träger wechseln.
Wie Kirche und Diakonie auf den Mangel reagieren, schilderte der Kirchheimer Dekan Christian Tsalos: Die Verwaltung würde zentralisiert, mit der „Assistenz der Gemeindeleitung“ werde ein neues Berufsbild geschaffen. In manchen Kirchenbezirken wurde bereits die Kita-Trägerschaft zusammengefasst: „In Kirchheim ist diese Frage noch offen.“
Was der Diakonie ebenfalls zu schaffen macht: Bei der neuen, generalistischen Pflegeausbildung sind zuletzt bis zu 40 Prozent der Prüflinge durchgefallen. Teils lag es an den Sprachkenntnissen. „Wir haben drei Ausbildungen in eine gepackt und es bei drei Jahren belassen, der Korb hängt höher“, sagte Jochen Schnizler, Geschäftsführer der Diakoniestation Nürtingen. „Wir haben keinen Plan für eine geordnete Fachkräftezuwanderung“, kritisierte er. Die Anerkennungszeiten seien extrem lang, was weitere Teilnehmer bestätigten: In einem Fall wartet eine ausgebildete Gesundheits- und Krankenpflegerin seit drei Monaten darauf, endlich als solche arbeiten zu dürfen.
Ebenfalls zur Sprache kam, wie sehr aller Mangel zusammenhängt: Wer keine Betreuungsplätze für seine Kinder findet, kann nicht arbeiten – auch nicht in der Diakonie. „Wie versorgen wir diejenigen, die Unterstützung brauchen, in der Pflege, in den Kitas, in der Beratung?“, fragte Haußmann. „Das macht mir große Sorgen, wir dürfen und wollen die Menschen nicht alleine lassen. Deshalb braucht es große Anstrengungen von allen Akteuren und auch den Mut zu neue Formaten. Vielleicht findet sich doch ein Lichtlein.“