Bei seiner Eröffnung des Bürgerdialogs zur Filstalbahn im fast voll besetzten Uditorium in Uhingen beschönigte der Göppinger Landrat Edgar Wolff nichts. „Aus Freude sind Frust und Ärger geworden“, sagte er zum Betreiberwechsel zu Go Ahead. „Wunsch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander.“ Fahrzeuge kämen zu spät, seien teils nicht einsatzbereit, die Personalsituation sei kritisch. „Wann wird es endlich gut?“ Die Zukunft der Mobilität bestehe doch in einem attraktiven öffentlichen Nahverkehr.
„Wir sind absolut unzufrieden“, sagte Landesverkehrsminister Winfried Hermann. Go Ahead habe den Vertrag bisher nicht eingehalten. Er verglich die Kapazitäten von vier sehr gefragten Vormittagszügen: Deren maximale Besetzung liege bei zusammen 1 710 Fahrgästen. Bei der Deutschen Bahn seien früher 1 790 Sitzplätze bestellt worden, bei Go Ahead nun 1 860. „Wenn Züge wie bestellt fahren, reichen die Kapazitäten.“ Weil aber der Betreiber zu wenige Züge hatte, hätten die Kapazitäten fast nie gestimmt.
„Wenn die Züge wie bestellt fahren,
reichen die Kapazitäten."
Winfried Hermann
Hermann fasste die Probleme zusammen: Es blieb zu wenig Zeit zur Erprobung der Fahrzeuge, laut Go Ahead seien sie nur zu rund 80 Prozent einsatzbereit. Türen funktionierten nicht, Stromrichter fielen aus, und es gebe WC-Störungen. Das Personal sei knapp. Doch auch die Strecke trage ihren Teil bei: Sie sei stark belastet, es gebe viele Verspätungen im Fernverkehr, die Infrastruktur, wie Signale, Weichen und Bahnübergänge, sei teils veraltet, die Bahn leide unter dem Abbau der vergangenen Jahrzehnte. Hermann kündigte eine Entschädigung für Zeitkartenbesitzer an, sie sollen die Kosten für einen Monat erstattet bekommen. Daran sollen sich der Zughersteller und der Betreiber beteiligen. Ein morgendlicher IC wurde für Nahverkehrsfahrkarten geöffnet. Wenn dieser IC bald wegen der Sanierung der Schnellfahrstrecke Stuttgart-Mannheim nicht mehr verkehre, solle an seine Stelle ein ICE treten, die Verhandlungen mit der Deutschen Bahn liefen. Als Abhilfe setzten die neuen Betreiber vorübergehend auch Doppelstöcker der DB Regio ein.
Noch im Februar seien die drei Triebwagen aus der Nachbestellung einsatzbereit, versprach Gordon Lemke, Technischer Geschäftsleiter von Go Ahead. Lemke gab zu, dass Personal fehlt. Warum verkehren auf der Filstalbahn keine Doppelstockzüge mehr? Über den Zug entscheide der Betreiber, antwortete Hermann. Zur Zeit der Ausschreibung habe es nur zwei Doppelstockzüge auf dem Markt gegeben. Die Flirt-Triebwagen sind dagegen leicht und spurtstark, schaffen Tempo 160, ein Doppelstockzug aus Lok und fünf Wagen kann deren Fahrplan nicht halten.
Der Flirt-Triebwagen ist eine Einwicklung aus der Schweiz, wird seit 2004 gebaut und in dritter Generation angeboten. Stadler fertigte bereits eine vierstellige Stückzahl und verkaufte Züge in viele Länder. Doch je nach Land und Bahnstrecke müssen die Züge angepasst werden. Wenn wie bei der Remsbahn nach Aalen die Bahnsteigkanten nicht normgerecht sind, der Zug aber für diese Norm gebaut wurde, klemmt es. „Alle Eventualitäten werden wir erst im Betrieb erfassen“, sagte Volker Keller, Geschäftsleiter von Stadler Rail Service Deutschland. Im Vergleich zu Mitbewerbern liefert Stadler aber relativ pünktlich. Einer Statistik von 2019 zufolge kamen 76 Prozent der Züge rechtzeitig, sechs Prozent über 90 Tage verspätet.
Gordon Lemke widersprach dem Vorwurf, der Betreiber habe die Filstalstrecke unterschätzt. Im Dezember habe sich das Netz von Go Ahead um 60 Prozent erweitert. „Die Komplexität steigt überproportional.“
Viele Pendler machten ihrem Ärger Luft: Sie führen in einer Sardinenbüchse oder warteten eineinhalb Stunden auf den Zug. Viele ärgern fehlende Informationen. Heike Eberlein sammelt im Reichenbacher Rathaus die Beschwerden. „Wenn jemand rechtzeitig wüsste, dass der Zug nicht kommt, könnte er wenigstens in Richtung Plochingen mit dem Bus fahren.“ Die fehlenden Infos lagen laut Lemke an Softwareproblemen bei der Übermittlung an den DB-Navigator. Manchmal trifft die Wut die Falschen.
Auch ein Zugbegleiter von Go Ahead kam zu Wort: „Wir werden bespuckt, auch geschlagen, mancher Kollege muss die Polizei holen.“ Wieder gab es sehnsuchtsvolle Blicke auf das gute schweizerische Bahnsystem. „Die Schweizer geben viel mehr Geld für ihre Bahn aus“, sagte Hermann.