Wendlingen. „Ich bin Schlosser, kein Wagner.“ Ewald Dubb winkte barsch ab, als ihm sein Vereinskamerad Gerhard Bauer vor gut 30 Jahren seinen Plan servierte: Er sei doch jetzt Rentner, da könne er mit seinen Bastlerkünsten dem Radsportverein Wendlingen (RSV) helfen, eine historische Gruppe aufzubauen. Mit selbst gebauten alten Rädern, wie man sie nur aus Museen kennt. Etliche Anläufe habe es gebraucht, erzählt Bauer. Etliche Male sagte er Nein. „Und irgendwann hat er gesagt: Ich probier’s.“ Wie es seine Art ist, hatte Dubb, heute 88 Jahre alt, damals ganz schön tief gestapelt. Denn was er seither in der kleinen Werkstatt im Keller seines Hauses fabriziert hat, kommt den Originalen ziemlich nahe. Das dokumentiert bis Ende Februar 2023 die Sonderausstellung „Historische Räder“ im Stadtmuseum Wendlingen. 22 Exemplare sind dort zu bestaunen, einige davon hat Dubb komplett selbst gefertigt.
Gleich am Eingang des Museums steht sein Erstlingswerk, eine Draisine. Ein Muss, denn diese von Karl von Drais 1817 vorgestellte Laufmaschine gilt als die Urform des heutigen Fahrrads. Mit Meterstab und Fotoapparat hatte Dubb vor vielen Jahren im Museum in Neckarsulm Maß genommen und dann zu Hause getüftelt. So gut wie alle Teile sind aus Holz, nur die Laufflächen der Räder sind mit Eisen beschlagen. Bestimmt ein halbes Jahr habe er damals gebraucht, erzählt der Wendlinger. Gefahren ist er mit dem guten Stück natürlich auch. Zum Beispiel 2002 bei der legendären deutsch-amerikanischen Steuben-Parade in New York und vielen anderen Umzügen im In- und Ausland, zu denen die historische Gruppe des RSV Wendlingen eingeladen war. Noch als 70-Jähriger war er körperlich so gut drauf, dass er bei einem Schaukampf in Friedrichshafen einem 30 Jahre Jüngeren, der mit einem normalen Fahrrad unterwegs war, nur das Nachsehen ließ.
Nachbau eines Delfinrades
Nach der Draisine machte er sich mit ebenso großem Erfolg an den Nachbau eines Delfinrades. Der Schotte Kirkpatrick Macmillan brachte es anno 1839 als erstes Fahrrad mit einem Hinterradantrieb auf den Markt. Die Technik wurde danach erst einmal nicht mehr weiterverfolgt. Doch etwa ab 1860 sah man im Hinterradantrieb die Zukunft des Fahrrads. Ebenso stolz ist Dubb auf sein Stahlhochrad, das kaum zu unterscheiden ist vom Original aus dem Jahr 1880. Auch daran ist alles Eigenbau. Inklusive der Speichen, für die Dubb Halogenschweißdrähte verwendete.
Eine besondere Herausforderung war für den gelernten Maschinenschlosser der Nachbau eines Zahnradfahrrads von 1876. „Das war wirklich schwierig“, sagt Dubb und zeigt auf die drei Holzzahnräder, die er mit einer Kreissäge fertigte. Wie damals üblich verfügte das Vehikel über eine Karbidlampe, die Dubb irgendwo auf einem Flohmarkt erstanden hat.
Zu allen seinen Konstruktionen weiß der Tüftler Geschichten zu erzählen. Mit dem Schubstockrad sei er oft im Fernsehen gewesen. Es wird mit den Füßen gelenkt und ist daher nicht leicht zu fahren. Profile wie die heutigen Mountainbikes hat das Gummivorderrad des Eisrads von 1868. Hinten rutscht das Gefährt auf Kufen. In Russland und den Vereinigten Staaten sei man in langen Wintern damit früher gut vorangekommen, weiß Dubb. Später habe man diese Fahrräder aus Eisen gebaut.
Damit auch kleinere Vereinsmitglieder das Gefährt bewegen können, baute er später noch ein Holzhochrad, dessen Pedale auch mit kürzeren Beinen getreten werden können. Mit viel Liebe zum Detail: Für Radler, die sich aufdringliche Vierbeiner vom Leib halten wollen, durfte eine am Rahmen angebrachte Hundepeitsche nicht fehlen.
Manche Exemplare oder auch nur Teile davon hat Dubb geschenkt bekommen und restauriert. Zum Beispiel ein stählernes Kinderfahrrad, das der Wendlinger Tankstellenbesitzer Wilhelm Schloz in den 1930ern für seine Tochter erworben hat.
Feuerwehrfahrrad mit Sirene
Komplettiert wird die Ausstellung mit Sammlerstücken wie einem Jagd- und Militärrad mit dem typischen lang gezogenen Stahlrahmen, wie es ab 1914 über Jahrzehnte in Gebrauch war. Das Ausstellungsstück hat Dubb mit einer doppelläufigen Flinte ausgestattet, die er mal von einem Jäger erhalten hat. Der Clou an einem Feuerwehrfahrrad aus dem Jahr 1905 ist eine noch heute funktionierende Sirene. Viele interessante Details zu bestaunen gibt es an einem Original-Scherenschleifer-Fahrrad: ein mit Kette angetriebener Schleifstein über dem Lenker, davor ein kleiner Wassertank, und die Reifen. Der vordere aus Sektkorken, der hintere aus Leder und Gummi. Das sei typisch für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen, erklärt Dubb. Weil an vielen Dingen Knappheit herrschte, behalf man sich gerade für die Reifen mit alternativen Materialien. Beispielsweise Sisalgras oder Stahlfedern. Auch damit kam man ganz ordentlich voran. Schwierig wurde es mit den Federn nur, wenn die Straße einen glatten Untergrund wie etwa Kopfsteinpflaster hatte.
An der einen oder anderen Stelle hat Dubb die Original-Konstruktion sogar optimiert. An seinem Bambusrad versteckte er Eisenröhrle in den tragenden Teilen. „Damit sie nicht zusammenbrechen“, verrät der 88-Jährige. Sein neuestes Werk, entstanden in der Coronazeit, ist ein Dicycle genanntes Dreirad, das gegen 1875 auf den Markt kam. Die Damenwelt von damals schätzte diese Art von Gefährt, denn mit den nebeneinander angeordneten und per Tretkurbeln angetriebenen Rädern konnte es bequem auch mit langen Röcken gefahren werden.
Von den Anfängen bis heute
Draisine Erste Fahrräder hat es wohl schon vor 1800 gegeben. Aber die Laufmaschine von Baron Karl von Drais (Mannheim) von 1817, bekannt als Draisine, gilt als erstes erfolgreiches Fahrrad der Welt.
Drehkurbel Der nächste Schritt waren von 1840 bis 1870 Pedale und Drehkurbeln am Vorderrad. Danach kamen die Hochräder (1880 bis 1910). Ab Ende des 20. Jahrhunderts ebbte der Fahrradkult ab, im Fokus stand nun das Automobil. Anders in China, wo das Fahrrad an Bedeutung gewann.
Mountainbike In den USA erlebte das Fahrrad in den 70ern und 80ern einen Boom. Um 1981 wurde das Mountainbike erfunden. Die Fitnesswelle gab dem Fahrrad weltweit einen Schub. Um 1995 kam das E-Bike. hf