Auf dem Schulhof der Raunerschule kam es zum Unfall mit einem E-Scooter: Merve (14) liegt am Boden, das Smartphone noch in der Hand, das sie zu sehr abgelenkt hat, um den Zusammenstoß zu vermeiden. Sophia (13) hat den E-Scooter gefahren. Jason (14) filmt die Situation. Tatsächlich passiert ist Merve nichts, die Szene dient den Siebtklässlern als Material für ihre filmische „5-Shot-Technik“-Übung im Rahmen des Medienprojekts „Echt Fake, ich schwör!“ der Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung (LKJ) Baden-Württemberg. Drei Tage lang befassten sich die Medienpädagogen Hannah Deusch und Chris Bluthardt mit der Klasse 7a der Gemeinschaftsschule mit den Themen Fake News und Verschwörungsmythen. Ziel des Workshops ist es, die Jugendlichen für ihren Medienkonsum zu sensibilisieren und ihnen Infos an die Hand zu geben, wie sie kritischer mit der täglichen Flut an Informationen über sämtliche Kanäle umgehen können und abwägen lernen, ob das, was sie da sehen, hören und lesen, tatsächlich der Realität entspricht oder vielmehr eine oft täuschend echt wirkende Fehlinformation ist. In einer der Praxisübungen erfanden die Jugendlichen selbst Verschwörungsgeschichten und bereiteten diese medial auf. Anschließend wurde gemeinsam analysiert.
Allein schon Bilder oder kurze Filmszenen, wie sie die Schülergruppe aufgenommen hatte, können bewusst und mit den richtigen Techniken so bearbeitet werden, dass der eigentliche Inhalt der Nachricht zu etwas völlig anderem verzerrt wird. „Da geht es zum Beispiel um Details wie Montagen, den Blickwinkel oder den Bildausschnitt“, erklärte Hannah Deusch. Am ersten Projekttag sei erstmal die Theorie im Fokus gestanden: „Wir haben über die journalistischen Standards gesprochen und den Pressekodex.“ Dazu wurden den Schülerinnen und Schülern Stichworte an die Hand gegeben, mit deren Hilfe sie Nachrichten und sonstige bildliche und textliche Informationen auf deren Wahrheitsgehalt besser filtern und hinterfragen können. Auf Seite der Fake News finden sich etwa Schlagworte wie „reißerische Überschrift, Logikfehler, emotionale Sprache, Dramatisierung, eigene Meinung, Subjektivität, Übertreibung, Verharmlosung oder aufwühlend.“ Auf der Gegenseite stehen Attribute wie „Verständlichkeit, Unabhängigkeit, Impressum, Autorenname, Fachleute, überprüfbar, Richtigkeit, Neutralität, Aktualität, wertfreie und nüchterne Sprache, Objektivität, Quelle oder auch Sachlichkeit und Relevanz.“
Soziale Medien stehen im Fokus
Das Stimmungsbild zu Beginn des Workshops zeigte klar: Die Sozialen Medien, die kurzen und schnellen Informationen, sind es, die die Jugendlichen vor allem konsumieren. „Ich verbringe jeden Tag eine Stunde mit Tik Tok“, erzählte Johanna (13), „Fake News sind mir dabei aber noch kaum begegnet, da sich meine Videoauswahl hauptsächlich um Tiere dreht.“ Elena (12) nutzt täglich die Video-Plattform YouTube: „Da wurde jetzt vor den Wahlen zum Beispiel Werbung von Parteien angezeigt, da muss man inhaltlich schon schauen, was sein kann und was nicht. Richtige Fake News sind mir allgemein bisher noch nicht aufgefallen. Ich wusste aber auch nicht recht, auf was man da konkret achten muss. Das geht künftig besser. Manche Themen diskutiere ich auch mit Freunden.“
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Bei einer Übung wurden vorgelegte Nachrichtenbeispiele kritisch beleuchtet. Stimmt die Info oder ist sie völlig konstruiert? Gar nicht so einfach, wie sich zeigte: „Es ging zum Beispiel um einen 20-Jährigen, der in einem Koffer versteckt als Handgepäck gereist ist. Hört sich unglaubwürdig an, die Recherche zeigte aber, die Geschichte stimmt“, berichtete Johanna. Das Hinterfragen und dabei vertrauenswürdige, seriöse Quellen zu prüfen, sei essenziell, lernte die Klasse. Der Bedarf am Medienkompetenz-Projekt sei bei den Schulen hoch, weiß Hannah Deusch. „Angeboten wird es vom LKJ landesweit für die Klassenstufen sieben bis neun an allen Schulformen. Wir alle kommen im Alltag mit Fake News in Kontakt, oft ohne es zu wissen. Viele machen sich darüber auch keine Gedanken. Das Thema KI und die damit verbundenen Gefahren – neben dem positiven Nutzen – wird aber immer präsenter. Es wird so immer schwerer zu filtern“, weiß die Medienpädagogin.
Daher gelte es, gerade die jungen Nutzerinnen und Nutzer so früh wie möglich präventiv zu schulen. Ebenso die Erwachsenen, die häufig auch nicht richtig filtern können. „Das Projekt wird seither immer nur für ein Jahr gefördert und wir hoffen immer, dass es weitergehen kann“, so Hannah Deusch. „Medienkompetenz sollte nicht die Kür, sondern Pflicht sein“, ergänzte Chris Bluthardt. "Das Projekt ist eine gute Sache“, so die Klassenlehrerin Julia Hüttche, es gehe thematisch über die schulischen Inhalte hinaus.
Medienkompetenz kreativ stärken
Das Medienkompetenz-Projekt „Echt Fake, ich schwör!“ wird von der Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung (LKJ) Baden-Württemberg organisiert und von Medienpädagoginnen und -pädagogen an Schulen durchgeführt. Zielgruppe sind die siebten bis neunten Klassen aller Schularten. Für die Schulen ist die Teilnahme kostenlos. Das Projekt wird von der Landesanstalt für Kommunikation (LFK) Baden-Württemberg gefördert.
Der Workshop an Schulen oder in außerschulische Bildungseinrichtungen in Baden-Württemberg läuft über drei Tage. Es geht in Theorie und Praxis um die Mechanismen von Verschwörungsmythen und die Quellenkritik.
Das Projektformat wurde beim Ideenwettbewerb „idee bw“ der Initiative Kindermedienland Baden-Württemberg mit 20.000 Euro ausgezeichnet.
Weitere Informationen gibt es unter: www.lkjbw.de/echt-fake-ich-schwoereis