Vor drei Jahren hat sich Michael Krug aus Aichtal den Traum von der Selbstständigkeit erfüllt. Der gelernte Industriemechaniker konnte schon einiges an Berufserfahrung sammeln, hat unter anderem als Operator in einem Windkanal und als Teamleiter in einem Presswerk gearbeitet. „Aber irgendwie wollte ich immer etwas anderes. Für mich gibt es nichts Schöneres, als mein eigener Chef zu sein.“ Als der Familienvater eine Anzeige für die Übernahme einer Firma für Lüftungs- und Wärmetechnik sieht, scheint das genau das Richtige zu sein. „Ich bin technisch begabt, und Erfahrung in einer Führungsposition hatte ich auch schon.“ Also nimmt er einen Bankkredit über 650.000 Euro auf und wird Geschäftsführer seiner eigenen Firma.
Konten plötzlich gesperrt
Doch die Geschäfte laufen nicht so, wie Michael Krug es sich vorgestellt hat. „Sicherlich bin ich selbst auch etwas naiv an die Sache herangegangen“, sagt er selbstkritisch. „Es lief von Anfang an zäh.“ Die Konkurrenz ist groß, die Auftragslage mau. Als nach einem halben Jahr die erste Rückzahlung des Kredits fällig wird, geht es rasant bergab. „Ab da musste ich monatlich 7000 Euro an die Bank zurückzahlen.“ Nebenbei müssen die vier Mitarbeiter bezahlt werden.
Daheim kümmert sich seine Frau um die kleine Tochter und arbeitet zu diesem Zeitpunkt deshalb nicht. „Dann konnten wir die ersten Rechnungen nicht zahlen und die ersten Mahnungen kamen rein.“
Das letzte Gehalt für seine Mitarbeiter zahlt Krug aus der eigenen Tasche. Im Januar dieses Jahres bleibt ihm nichts anderes übrig, als Insolvenz- und Privatinsolvenz anzumelden. „Meine Konten wurden eingefroren. Wir hatten von heute auf morgen kein Geld mehr.“ Die Familie kann die Miete für die Wohnung nur zahlen, weil die Schwiegermutter aushilft.
Ein Freund rät Krug, so schnell wie möglich Bürgergeld und Wohngeld zu beantragen. „Ende Februar habe ich den Antrag gestellt.“ Die Zeit drängt, doch statt einer Grundsicherung bekommt Krug vom Jobcenter Nürtingen eine Liste mit fehlenden Unterlagen und Informationen. „Sie wollten zum Beispiel wissen, wie viele Zimmer wir haben und wie groß diese sind.“ Krug wundert sich zwar, sammelt aber alles zusammen und bringt die geforderten Unterlagen persönlich beim Jobcenter vorbei. Wenig später bekommt die Familie das nächste Schreiben. „Wieder haben irgendwelche Unterlagen gefehlt.“ Auch diese Unterlagen reicht Michael Krug nach.
Doch im April bekommt die Familie noch immer kein Bürgergeld. Wieder meldet sich das Jobcenter, wieder gibt es ein Problem. „Meine Ehefrau hatte zwischenzeitlich einen neuen Job gefunden. Also wollten sie einen Gehaltsnachweis. Aber den bekommt man natürlich nicht, wenn man gerade erst angefangen hat zu arbeiten.“
Noch komplizierter wird es, als Michael Krug ein neues Bankkonto bekommt, nachdem sein altes gesperrt wurde. „Das Jobcenter brauchte meine neuen Kontodaten.“ Diese habe er online selbst übermitteln sollen. „Aber das ging aufgrund von Wartungsarbeiten an der Internetseite des Jobcenters nicht.“ Wochenlang habe er die Daten nicht ändern können. „Also bin ich persönlich hin, um die Kontoänderung anzugeben.“ Den Antrag zur Änderung der Daten habe er in den Briefkasten des Jobcenters geworfen. „Ich weiß nicht, was damit letztlich passiert ist. Geändert wurde bis heute nichts.“
Auch für den Monat Mai bekommt die Familie keine Grundsicherung. „Ich war noch nie in der Situation, dass ich auf Bürgergeld angewiesen war. Aber das kann fast jeden treffen, und da finde ich es erschreckend, wie schwer es ist, diese Grundsicherung zu bekommen.“
Potenzial der Digitalisierung
Ist es zu kompliziert, an Bürgergeld zu kommen? Diese Frage beantwortet die Agentur für Arbeit Göppingen, die auch für die Außenstelle in Nürtingen verantwortlich ist, nicht direkt. Man halte sich an staatliche Vorgaben: „Es werden insgesamt schon viele Unterlagen und Nachweise benötigt. Aber das sind die Vorgaben, die jedes Jobcenter erfüllen muss“, sagt die Pressesprecherin Kerstin Fickus. „Eine bessere und schnellere Digitalisierung beispielsweise würde die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Bearbeitung der Fälle unterstützen.“
Wenn alle Unterlagen vorliegen, gehe es „recht zügig“, sagt Fickus weiter. Neun bis zehn Arbeitstage dauere die Bearbeitung im Schnitt dann noch. „Mitunter braucht es aber auch mehrere Anläufe und Nachfragen, bis alle Unterlagen da sind, die erforderlich sind, um über einen Anspruch auf Bürgergeld zu entscheiden.“
Michael Krug wartet mittlerweile seit über drei Monaten auf sein Bürgergeld. „Wie es aussieht, werde ich mir wieder Geld leihen müssen.“