In der Umkleidekabine des TSV Oberlenningen riecht es nach Pizza und einem Hauch Ehrgeiz. Auf dem Fernseher läuft American Football, auf den Displays der Handys ploppen Statistiken, Punktestände und Verletzungsupdates auf. Zwölf Männer sitzen auf Kabinenbänken und Campingstühlen, die Stimmung irgendwo zwischen Taktikbesprechung und Klassenfahrt. Sonntagabend ist Spieltag – nicht nur für Millionen Football-Fans in den USA, sondern auch hier im Täle.
Fantasy Football ist ein virtuelles Managerspiel: Aus realen NFL-Spielern stellt man sich ein eigenes Team zusammen. Wer klüger aufstellt – und, zugegeben, etwas Glück hat –, sammelt Punkte für alles, was die eigenen Spieler im echten Spiel leisten: Läufe, Würfe, Touchdowns. Wer am Ende des Spieltags vorne liegt, gewinnt.
Was nach Spielerei klingt, ist längst ein fein austariertes System – mit Insiderwitzen, Allianzen, Running Gags und alten Rechnungen. Für die Gruppe aus der Teckregion ist Fantasy Football mehr als ein Zeitvertreib: Es ist Ritual, Rückzugsort, digitale Dauerverbindung – und ein Spiel, das keiner auf die leichte Schulter nimmt.

Ritual mit Punktestand
Mario Hanssum und Ali Sahin waren schon zu Schulzeiten fasziniert von American Football. Vor neun Jahren kam dann die Idee: eine eigene Fantasy-Liga wie in den USA. „Sechs Leute mussten wir finden, drei davon sind bis heute dabei“, sagen sie.
Heute sind es zwölf aktive Spieler, 15 in der Whatsapp-Gruppe. Manche spielen nicht mehr aktiv oder sind weggezogen, aber diskutiert wird trotzdem. Über Spiele, Trades, Rankings. Über das Leben. „Selbst wenn man sich länger nicht sieht, durch die Liga bleibt man verbunden“, sagt der Weilheimer Ali Sahin.
Jede Woche trifft man im Spiel auf einen neuen Gegner. Mal den besten Freund, mal den größten Sprücheklopfer, manchmal beides in Personalunion. Alle spielen gleichzeitig – aber immer eins gegen eins.
Wie viel Zeit wirklich in die Gruppe fließt? Die Antworten variieren – je nachdem, wer gerade zuhört. „Das darf ich nicht sagen, wenn mein Chef rechnen kann ...“, sagt einer und grinst. Einfach mal mitspielen gibt’s hier nicht. Viele stecken locker 20 Stunden pro Woche in Podcasts, Statistiken und News. Wer morgens aufwacht, checkt erst sein Fantasy-Team, dann vielleicht die Uhr.
Schlaf wird überschätzt
Die meisten hier investieren mehr als nur ein bisschen Freizeit, manchmal geht dafür sogar eine halbe Nacht drauf. Football läuft in Deutschland zu Zeiten, in denen andere schlafen. Aber in dieser Gruppe ist fast immer jemand wach. „Um halb fünf schreibt einer: ‚Guckt noch jemand?‘ und du weißt: Garantiert, da ist jemand“, sagt Michele Manzoni. Das Handy wirft fahles Licht an die Decke, eine Nachricht kommt, dann die nächste, dann tippen drei Leute gleichzeitig.
Dinge werden hier gemeinsam durchgestanden, die keiner allein ertragen sollte – zum Beispiel, wenn ein Runningback auf dem nassen Rasen wegrutscht und sich verletzt. Wenn ein Team untergeht, flucht keiner allein, und wenn’s eng wird, wird mitgefiebert, und das häufig bis in die Morgenstunden.
Der Gürtel lügt nicht
Die Saison geht von September bis Januar. Gegen Ende ziehen die sechs Punktbesten in die Play-offs ein, dort wird es ernst. Wer sich durchsetzt, wird Champion und trägt den Gürtel. Der ist aus glänzendem Kunstleder, ziemlich schwer und komplett unnötig. Genau deshalb will ihn jeder haben.
„Wenn du den Gürtel hast, darfst du ein Jahr lang praktisch alles“, erklärt der Lenninger Mario Hanssum und lacht. „Der beendet jede Diskussion. Man hat einfach grundlegend recht.“ Dazu gibt’s ein Trikot und einen Ring, finanziert aus den 25 Euro Einsatz pro Person, die alle zu Saisonbeginn in einen Pott werfen.
Zwischen den Spielen wird diskutiert wie auf Pressekonferenzen und gefeilscht wie auf dem Börsenparkett. „Alle denken, sie sind der größte Experte. Aber eigentlich bin’s nur ich“, erklärt Marvin Heth grinsend. Sahin lässt kurz den Gürtel blitzen – und die Männer fangen an zu grölen.
Trotz aller Sprüche funktioniert die Runde reibungslos. Ali Sahin organisiert die Liga. „Er ist der Käsekern, der die Nachos zusammenhält“, sagt sein Schulfreund Mario Hanssum. Beide lachen. „Das fand ich jetzt irgendwie berührend.“
Hauseigene Traditionen
Drei Termine strukturieren das Jahr der Fantasy-Truppe wie Feiertage: Beim Pre-Draft wird gelost, in welcher Reihenfolge sie die Spieler für die kommende Saison auswählen dürfen. Der eigentliche Draft, also die tatsächliche Auswahl der Spieler, steigt wenige Tage später traditionell bei Mario Hanssum – über Stunden hinweg wird taktiert, diskutiert, ausgewählt und Bierpong gespielt. Zum Highlight, dem Saisonfinale, mietet sich die Gruppe ein Apartment in Kirchheim, um gemeinsam den Superbowl zu schauen und dem neuen Champion den Gürtel zu überreichen. „Da musst du dabei sein. Da gibt’s keine Diskussion“, sagt Michele Manzoni.
Von echten Spielern und virtuellen Siegen
Fantasy Football ist ein digitales Managerspiel für Fans der amerikanischen Football-Liga NFL. Jeder Mitspieler stellt sich vor Saisonbeginn ein eigenes Team zusammen – allerdings nicht auf dem Sportplatz, sondern am Computer oder übers Handy, meist per App oder Website. Die Spieler, die man auswählt, sind echte Profis aus der NFL. Wie viele Punkte das eigene Team sammelt, hängt davon ab, wie gut diese Profis im echten Spiel abschneiden. Läuft der eigene Star-Spieler viele Meter oder wirft einen Touchdown, bringt das Punkte fürs FantasyTeam. Jede Woche treten die Teilnehmer gegeneinander an. Wer besser aufgestellt – und ein bisschen Glück – hat, gewinnt. Am Ende der Saison ziehen die besten Teams dann in die „Play-offs“ ein. Der Sieger wird Champion – mit allem Drum und Dran.

