Heute morgen hätte ich fast ins Lenkrad gebissen“, sagt Ev Dörsam. Die Leiterin der Lenninger Bücherei fährt jeden Tag von ihrem Wohnort Tübingen zur Arbeit nach Oberlenningen. Das „Promillesteigle“ zwischen Dettingen/Erms und Hülben geht‘s morgens rauf, dann über die Alb und die Grabenstetter Steige runter ins Lenninger Tal. Doch weil die Grabenstetter Steige derzeit gesperrt und auch die Hochwangsteige noch bis Ende des Monats dicht ist, müssen Autofahrer, die vom Ermstal ins Lenninger Tal oder umgekehrt wollen, erfinderisch sein. „Heute bin ich über Metzingen, Kohlberg und Neuffen gefahren“, erzählt Ev Dörsam. Schon in Metzingen klemmte sich ein Laster vor sie, der mit 20 um die Kurven schlich und den sie nicht überholen konnte. „Das macht einen wahnsinnig. Vor allem, wenn man keine Zeit hat.“ Weil sie in der Bücherei eine Schulklassenführung hatte, saß Ev Dörsam wie auf Kohlen im Auto. Nächstes Mal will sie eine andere Route ausprobieren - wie gewohnt das Promillesteigle benutzen und dann über die Beurener Steige das Lenninger Tal ansteuern.
Auch Lenningens Bürgermeister Michael Schlecht ärgert sich über die mangelnde Absprache zwischen Regierungspräsidium (RP) und Landratsamt. „Es ist doch nicht erst seit gestern bekannt, dass an beiden Steigen zwingend etwas getan werden muss.“ Natürlich unterstütze die Gemeinde, dass die Verkehrssicherheit beider Steigen verbessert werde. Die Bürger und die Verwaltung fragten sich aber, warum die beiden Behörden die Baustellen nicht besser koordinieren. Unmittelbar nachdem er über die Sperrung der Grabenstetter Steige informiert worden war, machte er seinem Unmut in einem Schreiben an das RP Luft. Denn schon seit einem Jahr war klar, dass die Hochwangsteige den kompletten November über dichtgemacht wird, um in einer groß angelegten Aktion Bäume zu fällen und die Böschung zu stutzen. Im Oktober hatte das RP erst bekannt gegeben, dass auch die Grabenstetter Steige bis 7. Dezember für vier Wochen voll gesperrt werden muss. Drei Wochen lang sind beide Steigen gleichzeitig zu.
Das RP verweist darauf, dass die Rutschung an der Grabenstetter Steige unvorhersehbar war. Um sie noch vor dem Wintereinbruch zu beseitigen, musste umgehend gehandelt werden, erklärt die Pressereferentin Désirée Bodesheim dazu. Schon seit September war die Steige an der unteren Haarnadelkurve nur einseitig befahrbar. Hätte das RP die Bauarbeiten ins neue Jahr verschoben, hätte das je nach Witterung den ganzen Winter über zu einer Komplettsperrung führen können. Den Vorwurf, Landkreis und RP sprächen sich nicht ab, lässt Désirée Bodesheim deshalb nicht gelten. „Eine Überschneidung ließ sich nicht vermeiden.“
Während mancher Autofahrer seinen Frust auf den Rathäusern ablädt, bleibt der Oberlenninger Jens Tombrägel trotz der längeren Fahrzeit zur Arbeit gelassen. „Normalerweise bin ich in knapp 20 Minuten in Urach“, sagt der Physiotherapeut an der Rehaklinik M&I Fachkliniken Hohenurach. „Jetzt brauche ich doppelt so lange.“ Dabei ist die Strecke nur rund sieben Kilometer länger. Doch auf dem direkten Weg über die Grabenstetter Steige gibt es keine einzige Ampel, auf der Umleitung über Owen, Erkenbrechtsweiler und Hülben wird der Verkehr dagegen immer wieder ausgebremst. Für ein langsames Vorankommen sorgt auch der Schwerlastverkehr. Die Unannehmlichkeiten quittiert Jens Tombrägel mit einem Achselzucken: „Ich bin mir jetzt eher bewusst, wie gut ich es habe“, betont er. „Ich möchte nicht über die Autobahn zur Arbeit fahren, wo jeden Tag Stau ist.“