Man muss sich die Wege selbst aussuchen, am Felsen sind ja keine Griffe vorgegeben, das gefällt mir am besten“ schwärmt die zwölfjährige Lina, während sie aus dem Klettergurt steigt. Hinter ihr steht bereits eine Schlange abenteuerlustiger Kinder in den Startlöchern, um den Stellfels zu erobern.
Knapp ein Dutzend Kinder erklimmen hier im Rahmen des Sommerferienprogramms des Naturschutzzentrums Schopflocher Alb den etwa 15 Meter hohen Felsen. Die Veranstaltung findet in Zusammenarbeit mit der Jugendleitung der DRK Bergwacht Stuttgart bereits seit 2012 statt und birgt nicht nur körperliche Herausforderungen, sondern gibt den Kindern auch die Möglichkeit, unter fachkundiger Anweisung die heimischen Biotope zu erkunden.
Der Tag startet mit einer Wanderung vom Naturschutzzentrum zum Albhaus des Deutschen Alpenvereins. Allerdings stapfen die Kids nicht einfach von A nach B, sondern sie erfahren von der Biologin Ulrike Walter unterwegs jede Menge über die Flora und Fauna der Region. Sie erklärt beispielsweise, warum es wichtig ist, diese lokalen Schätze zu schützen und wie untrennbar die Tier- und Pflanzenwelt miteinander verbunden sind.
Nach einer Stärkung übernimmt die Bergwacht die Bühne und weiht die acht- bis zwölfjährigen Teilnehmer in die Grundregeln des Kletterns ein. „Achtung, Seil!“, hallt der Ruf von „Bergwachtler“ Adrian Grimm über den Felsen. Dann sausen auch schon die Seile über den Rand. Ein vorsichtiger Blick über die Kante lässt die Kinderherzen höherschlagen, und Immanuel, ein klettererfahrener Elfjähriger mit Vorliebe für den Blick von oben, ist begeistert: „Es ist einfach toll, da runterzuschauen – dieser Weitblick!“
Der Stellfelsen bietet mehrere Routen mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden, um den individuellen Fähigkeiten der jungen Kletterer gerecht zu werden. Manche sind zum ersten Mal dabei, während andere schon „alte Hasen“ sind. Die Kinder geben sich gegenseitig Tipps und sprechen sich Mut zu, während sie von Ulrike Walters und ihren beiden FÖJ-lern in Klettergurte gepackt und die Helme nochmal festgezogen werden. Sicherheit steht an erster Stelle.
Die Kinder sind sich einig: Sich selbst den Weg suchen zu dürfen und nicht nach vorgegebenen Griffen und Routen klettern zu müssen, macht den wahren Reiz aus. Die Schwierigkeitsstufe können sie sich selbst aussuchen. Während einige sich als wahre Speed-Kletterkünstler erweisen, lassen es andere eher vorsichtig und bedächtig angehen.
Eine Portion Überwindung
Das Ende des Kletterabenteuers bestimmt jedes Kind für sich selbst. Wer nicht weiter kommt oder wer einfach wieder sicheren Boden unter den Füßen haben möchte, kann das jederzeit sagen. Allerdings wartet mit dem Abstieg noch eine kleine Herausforderung auf die Nachwuchskletterer. Sich ins Seil zu setzen, die Füße uzur Wand und die Schultern in Richtung Abgrund, dann den Blick in die Tiefe wagen – all das erfordert Mut, Selbstvertrauen und für manche Kinder eine ordentliche Portion Überwindung. „Am Anfang war ich schon nervös“, berichtet Lina, „aber da muss man dann einfach kurz durch, dann geht’s gleich wieder. Man ist ja gesichert.“ Mit fachkundiger Hilfe und einfühlsamer Anleitung meistern alle Kinder den Weg nach unten, und spätestens mit festem Boden unter den Füßen weicht die Anspannung einem breiten Grinsen im Gesicht.
Das Erstaunliche bei dieser Kraxelei ist, welch bemerkenswerter Teamgeist bei den Kindern vorherrscht. Da gibt‘s keinen Neid, keine Missgunst, keine Prahlerei oder Besserwisserei. Sie loben sich gegenseitig, drücken sich die Daumen, fiebern beim Aufstieg mit und zeigen Verständnis füreinander, wenn der Abstieg etwas länger dauert – auch, wenn das heißt, dass sie selbst noch warten müssen.