Der Blick durch eine Tür der Industriehalle lässt erahnen, wie das Feuer, das am Montagabend gegen 21 Uhr ausgebrochen war, gewütet haben muss. Teile des Daches sind heruntergekracht, verkohlte Holzbalken liegen herum. Das ganze Ausmaß der Zerstörung wird aber erst von oben sichtbar. Von dem Dach des stillgelegten Gebäudekomplexes ist kaum noch etwas übrig.
Für Wendlingens Bürgermeister Steffen Weigel, der sich vor Ort ein Bild vom Geschehen gemacht hatte, gibt es trotz des Unglücks auch gute Nachrichten: „Durch den tollen Einsatz der Feuerwehr sind umliegende denkmalgeschützte Gebäude nicht in Mitleidenschaft gezogen worden“, so Weigel. Der Spinnereihochbau und das Kesselhaus seien nicht betroffen, an der Weberei gebe es wohl zum Teil Schäden. Bei dem ausgebrannten Gebäude handele es sich um die sogenannte Ausrüstungshalle.
Brandursache ist unklar
Erkenntnisse zur Brandursache hatte Matthias Lernhart, Chef vom Dienst im Polizeipräsidium Reutlingen, am Dienstag noch nicht. Die Kriminalpolizei ermittle. Derweil korrigierte die Polizei ihre erste Schadenssumme nach unten. Während in der Nacht noch von mehreren Millionen Euro die Rede war, gingen Kräfte vor Ort nun eher von einem hohen sechsstelligen Betrag aus, teilte Matthias Lernhart am Dienstagmittag mit. Allerdings sei es noch schwierig, zum aktuellen Zeitpunkt eine konkrete Aussage zu treffen.
Durch den tollen Einsatz der Feuerwehr sind umliegende denkmalgeschützte Gebäude nicht in Mitleidenschaft gezogen worden.
Steffen Weigel, Wendlingens Bürgermeister
Die Feuerwehr war am Montag gegen 21.30 Uhr alarmiert worden, nachdem über dem Areal Rauch wahrgenommen worden war. Vor Ort nahmen die Einsatzkräfte dann laut Pressemitteilung der Feuerwehren des Landkreises einen deutlichen Feuerschein über dem brachliegenden Gebäude wahr. Weil ein Einsatz innen sich als zu gefährlich erwiesen habe, habe der Einsatzleiter Michael Gau entschieden, den Brand von außen zu bekämpfen, so Carsten Ruick, Pressesprecher der Feuerwehren im Landkreis Esslingen. Punktuell waren nachts einzelne Trupps unter Atemschutz in das Gebäude geschickt worden. Verletzt wurde nach aktuellem Kenntnisstand niemand. Vier Drehleitern seien im Einsatz, die Wasserversorgung dank des wenige hundert Meter entfernten Neckars stabil gewesen. So hätten die angrenzenden Gebäude gehalten werden können.
Eine Feuerwehrdrohne der Feuerwehr Kirchheim lieferte wertvolle Bilder für die Einsatzleitung. „Wir hatten immer ein Luftbild, um zu sehen, wo Glutnester sind. So konnte gezielt gelöscht werden“, sagte der Pressesprecher der Feuerwehren.

Stillstand am Bahnhof
Aufgrund des starken Funkenflugs war auch der Bahnbetrieb teilweise eingeschränkt. Der Bahnhof Wendlingen war für mehrere Stunden nicht anfahrbar. Die Bevölkerung wurde über die gängigen Warnkanäle gebeten, Fenster und Türen geschlossen zu halten. Rund um das Gelände kam es auf den Straßen zu Sperrungen und Verkehrsbehinderungen.
Wie der Brand sich womöglich auf die Entwicklung des Otto-Quartiers auswirken wird, dazu gab es zunächst keine Aussagen. Auf dem Industriegelände soll ein Stadtquartier mit Gewerbe und Wohnen entstehen, wobei die denkmalgeschützte historische Bausubstanz erhalten bleiben soll. Baustart war für Frühjahr 2023 geplant – das Projekt hatte sich aber immer wieder verzögert.
Das sagen die Investoren
Hauptinvestor auf dem rund zehn Hektar großen Areal am westlichen Stadtrand von Wendlingen ist CG Elementum. Dessen Gebäude seien dank des unermüdlichen Einsatzes der Feuerwehr nicht betroffen, teilt Pressesprecherin Eva Mommsen mit. Das Gebäude, in dem der Brand ausgebrochen sei, sei im Besitz des Unternehmens Quarterback, einem Projektentwickler mit Hauptsitz in München. Das Unternehmen war am Dienstag nicht erreichbar.
Auch Gebäude der HOS-Gruppe sind nach Angaben von deren Geschäftsführer Andreas Decker nicht in Mitleidenschaft gezogen worden. Er selbst sei in der Nacht bis Viertel vor Zwei vor Ort und zeitweise in Sorge gewesen. Die HOS-Grundstücke befinden sich auf der anderen Seite eines Zufahrtsweges auf dem Gelände. Die Unternehmensgruppe hat hier bereits ein neues Büro- und Dienstleistungsgebäude errichtet und plant weitere Neubauten und die Entwicklung von historischem Gebäudebestand auf dem Gelände. HOS, der Name steht für Heinrich Otto und Söhne und damit die Familienholding der Textilfabrikanten, war einst Eigner des gesamten Areals.
Decker zufolge handelt es sich bei der abgebrannten Ausrüstungshalle um ein Gebäude indem einst ein Teil der Textilveredelung stattgefunden habe, bevor es für andere Zwecke genutzt wurde. Es sei nicht denkmalgeschützt und in den vergangenen Jahren leer gestanden. Es soll nach Informationen des HOS-Geschäftsführers einem Neubau weichen.
Nicht der erste Brand
Für die Wendlinger Feuerwehrleute ist es nicht der erste Einsatz auf dem Otto-Areal. Im November sei man zweimal zu kleineren Bränden ausgerückt, sagt Gau. Die habe man schnell im Griff gehabt. Zu den Brandursachen könne man nichts sagen. „Die Feuerwehrleute haben mir mitgeteilt, dass sie sich Sorgen machen angesichts der Einsätze“, sagt Bürgermeister Weigel. Es sei schwierig, zu kontrollieren, was auf dem großen Gelände passiert. „Zumal es sich um Privatgelände handelt“, so Steffen Weigel.