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Flüchtlingsunterbringung: Kapazitäten im Kreis sind fast erschöpft

Krise Gemeinden haben keine freien Plätze mehr, um Flüchtlinge unterzubringen. Ein Bürgermeister sieht die humanitäre Verpflichtung gefährdet. Schwindet die Akzeptanz in der Bevölkerung? Von Florian Dürr

Landräte schlagen Alarm, aus den Städten und Gemeinden werden Hilferufe laut, über die Verteilung und die Kosten wird heftig gestritten – die Unterbringung von Flüchtlingen ist besonders seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine eines der bestimmenden Themen auf politischer Ebene in Deutschland. Die Region Stuttgart bildet da keine Ausnahme. Doch was sagen die Zahlen? Wie sieht die Situation in den einzelnen Landkreisen aus? Eine Übersicht zur vorläufigen Unterbringung im Kreis Esslingen.

Wie viele Flüchtlinge sind in den Unterkünften vorläufig untergebracht?

Rund 2200 Flüchtlinge sind derzeit im Rahmen der vorläufigen Unterbringung im Kreis Esslingen auf 30 Unterkünfte verteilt. Zu den Hauptherkunftsländern zählen Syrien (24 Prozent), die Türkei (23 Prozent), Afghanistan (elf Prozent) und die Ukraine (neun Prozent). Für die Anschlussunterbringung – nach Abschluss des Asylverfahrens oder nach 24 Monaten, bei Ukrainern nach sechs Monaten – sind die Städte und Gemeinden zuständig. Seit 2016 konnten im Kreis rund 16 000 Flüchtlinge einen Platz in der Anschlussunterbringung bekommen.

 

Wie viel Kapazität hat der Kreis Esslingen noch?

Es gibt kaum mehr freie Plätze, um Flüchtlinge im Kreis Esslingen unterzubringen. Am 30. Juni waren noch etwa 300 Plätze verfügbar, „die sind inzwischen großteils belegt. Die Kapazitäten sind derzeit nahezu ausgeschöpft“, teilt eine Sprecherin mit.

Wo sind neue Unterkünfte geplant?

Der Landkreis plant Unterkünfte in Großbettlingen und Neckartailfingen sowie Containerstandorte in Nürtingen, Köngen und Kirchheim. „Die Landkreisverwaltung arbeitet mit Hochdruck an der Schaffung weiterer Unterkünfte“, sagt eine Sprecherin.

Welche Probleme gibt es bei der Unterbringung?

Besonders die Suche nach Unterbringungsmöglichkeiten macht dem Kreis zu schaffen. „In unserem hochverdichteten Siedlungsraum lassen sich auf dem leer gefegten Immobilienmarkt kaum noch Objekte finden“, klagt die Sprecherin. Dazu komme, dass die Akzeptanz und Aufnahmebereitschaft in der Bevölkerung allmählich schwinde. „Diese ist für ukrainische Flüchtlinge nach wie vor deutlich höher als für Flüchtlinge aus sonstigen Herkunftsländern“, heißt es.

Was sagen die Städte und Gemeinden?

In manchen Kommunen im Kreis wie etwa in Unterensingen gibt es laut der Gemeindeverwaltung überhaupt keine verfügbaren Plätze für Geflüchtete mehr. Auch aus Schlaitdorf sendet Bürgermeister Sascha Richter einen Hilferuf an den Bund: „Wir appellieren an die Bundesregierung und mahnen an, dass wir am Ende unserer Möglichkeiten sind. Wir sind voll belegt, es können erst wieder Personen aufgenommen werden, wenn welche unser Dorf verlassen.“

Holzmadens Bürgermeister Florian Schepp betont zwar, seine Gemeinde stehe zu der humanitären Verpflichtung. Doch er warnt zugleich: „Wir sehen für die Zukunft – bei gleichbleibendem Zustrom – keinerlei Möglichkeiten mehr, dieser Verpflichtung nachzukommen.“ Holzmaden komme finanziell wie personell an seine Grenzen.

Aus einigen Gemeinden wird vor allem von Herausforderungen in den Schulen und Kindergärten berichtet. In Weilheim sind etwa überhaupt keine Plätze in den Kindergärten mehr verfügbar, wie eine Sprecherin berichtet. Zudem bringen „Vorbereitungsklassen“ die Schule an die Belastungsgrenze: „Die Vermittlung von Sprachkenntnissen und grundlegenden Verhaltensregeln erfordert einen sehr hohen Aufwand – zusätzlich zum normalen Unterricht all der anderen Kinder. Wir erleben, dass dies die Schule überfordert“, berichtet die Sprecherin.

In der Schurwaldgemeinde Aichwald beklagt der Hauptverwaltungsleiter Stefan Felchle den Umgang mancher Geflüchteter mit den Gebäuden und Einrichtungsgegenständen, das verursache hohe Kosten für die Reparatur. „Weiterhin geht die personelle Auslastung der Mitarbeiter in Verwaltung, Ordnungsdienst und Bauhof an die Grenzen – eigentlich schon darüber hinaus“, berichtet Felchle und fordert: „Es braucht dringend einen deutlichen Rückgang oder Stopp in der Verteilung von Flüchtlingen an die Kommunen – also dringend andere Abläufe im Verfahren, konsequente Rückführung der abgelehnten Asylbewerber und eine bessere Verteilung der flüchtenden Personen in Europa.“

 

Wie viel kostet den Kreis die Unterbringung von Flüchtlingen?

Landkreise erhalten für die Unterbringung von Flüchtlingen einen Teil der Kosten vom Land Baden-Württemberg erstattet. Bei den Kosten, die der Landkreis Esslingen selbst trägt, rechnet die Verwaltung für das laufende Jahr mit rund sieben Millionen Euro. Diese unterteilen sich in Kosten für die vorläufige Unterbringung (rund eine Million Euro), die Anschlussunterbringung (rund 3,9 Million Euro) und Integrationsmaßnahmen (rund 2,1 Millionen Euro).

 

Wie beurteilt der Landrat die Flüchtlingssituation?

„Beim Zugang von Flüchtlingen, insbesondere aus anderen Herkunftsländern als der Ukraine, hat sich die Lage in den vergangenen Monaten zugespitzt“, sagt der Esslinger Landrat Heinz Eininger. „Ich bin mir der Belastung für unsere Kommunen bei der Flüchtlingsunterbringung bewusst. Das Ziel des Landkreises ist es daher, Flüchtlinge in einer gemeinsamen Kraftanstrengung unterzubringen. Dazu bedarf es aber kommunaler Solidarität – alle Städte und Gemeinden müssen ihrer Verantwortung bei der Flüchtlingsunterbringung nachkommen“, so der Behördenchef. Der Kreis arbeite seit Monaten unter Hochdruck daran, weitere Unterkünfte zu schaffen.