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Fluglärm erhitzt die Gemüter

Ärgernis Seit Februar befindet sich die neue Abflugroute TEDGO im Testbetrieb. Allerdings sollen mehr Maschinen als vereinbart die neue Kurve fliegen. Der vermehrten Kritik widerspricht die deutsche Flugsicherung. Von Matthäus Klemke

Seit mehr als 30 Jahren wohnt Simon Fetzer (Name geändert) in Wolfschlugen. „Es war immer sehr ruhig und erholsam hier“, sagt er. Mit seiner Familie hat er sich vor Kurzem den Traum vom Eigenheim erfüllt. „Nach der Arbeit habe ich die Ruhe im Garten genossen“, sagt der Familienvater. Damit sei es nun vorbei. Seit Beginn des Testbetriebs der neuen Flugroute am Flughafen Stuttgart sei „ständig ein lautes und störendes Flugzeug am Himmel zu hören“, so Fetzer. Die Diskussionen um die neue Flugroute habe er mitbekommen, aber das Thema eigentlich immer belächelt. Doch was seiner Familie nun zugemutet werde, sei „unerträglich, gesundheitsschädlich und zutiefst störend“. An einem Sonntag seien in der Zeit zwischen 17.20 und 18.15 Uhr insgesamt fünf Flugzeuge über die neue Route geflogen. „Die hört man selbst bei geschlossenen Fenstern.“

Fünf Flüge in 55 Minuten – dabei sollten es in der einjährigen Testphase höchstens zwei Flüge pro Stunde sein. Unter dieser Voraussetzung hatte sich die Fluglärmkommission für den Probebetrieb ausgesprochen. Man fühle sich für „dumm verkauft“, sagt Nürtingens Oberbürgermeister Johannes Fridrich: „Vor allem aus Oberensingen und Hardt kommen täglich Beschwerden.“ Anhand des Radardatensystems „Stanly Track“ der Deutschen Flugsicherung könne man sehen, dass deutlich mehr Flieger starten, als ursprünglich kommuniziert wurde. „Uns wurde zugesichert, dass die Flugzeuge auf die Kanarischen Inseln nicht auf der neuen Route fliegen können. Jetzt fliegen sie trotzdem dort, und zwar tiefer als sie eigentlich sollten. Das ist eine Ordnungswidrigkeit“, sagt Fridrich.

 

„Man fühlt sich für dumm verkauft.
Johannes Fridrich
Der Nürtinger Oberbürgermeister hält das Vorgehen der DFS für ordnungswidrig

 

Laut der Bürgerinitiative „Vereint gegen Fluglärm“ hätten bis Anfang Mai 162 Flugzeuge – vornehmlich Maschinen der Typen A319 und A320 – die neue Flugroute genutzt. Mit Beginn der Urlaubszeit befürchtet man eine deutliche Steigerung der Abflüge.

Beschwerden von „vereinzelten Personen und einer Gemeindeverwaltung“ seien mittlerweile auch bei der Fluglärmkommission aufgeschlagen, sagt deren Vorsitzender Christof Bolay. Dass es nur zwei Abflüge pro Stunde geben soll, sei jedoch nie feste Vorgabe gewesen. „Die Zahl von zwei Flügen pro Stunde auf TEDGO-Neu war seitens der DFS klar als Durchschnittswert definiert“, so Bolay: „Deswegen kann es in einer Stunde auch einmal sein, dass es mehr Flüge sind, während es in einer anderen dann gar keine sind.“

Auf Anfrage hat die DFS die Vorwürfe geprüft und kam zu dem Ergebnis: „Seit Beginn des Probebetriebs nutzten durchschnittlich 3,7 Flugzeuge pro Tag die neue Abflugroute. Das heißt, die durchschnittliche Nutzung ist weit von den empfohlenen zwei Abflügen pro Stunde entfernt“, so Arved Saur, DFS-Sprecher für die Region Süddeutschland. Dennoch könne es vorkommen, dass pro Stunde mehr als zwei Flugzeuge auf der neuen Kurve starten. Betrachtet werden immer ganze Stunden – zum Beispiel von 12 bis 13 Uhr. „Dadurch kann es in Einzelfällen vorkommen, dass bis zu vier Abflüge direkt hintereinander auf der neuen Abflugroute starten: zwei Abflüge unmittelbar vor und zwei Abflüge unmittelbar nach einem Stundenwechsel“, so Saur.

Auch zur Unterschreitung der Mindestflughöhe nimmt die DFS Stellung: So gebe es am Stuttgarter Flughafen eine Höhenbeschränkung von circa 1500 Metern direkt nach dem Start. In der Regel bekomme ein Pilot rechtzeitig die Erlaubnis höher zu gehen. „In Einzelfällen kann es aber dazu kommen, dass der Fluglotse aufgrund der Verkehrssituation dem Pilot zunächst keine weitere Freigabe für den Steigflug erteilt“, so Saur. Das habe mit der neuen Abflugroute nichts zu tun.

Rechtliche Schritte eingeleitet

Die Städte Nürtingen und Aichtal sowie die Gemeinden Neuhausen auf den Fildern, Denkendorf, Wolfschlugen und Walddorfhäslach möchten die neue Abflugroute mit rechtlichen Mitteln verhindern. Der beauftragte Rechtsanwalt Stephan Spilok hat Klage beim Verwaltungsgerichtshof Mannheim eingelegt, wo diese derzeit geprüft werde. „Der alte Planfeststellungsbeschluss aus den 80er-Jahren erlaubt keine Abweichungen von den damals festgelegten Flugrouten, sodass der ursprüngliche Beschluss keine Grundlage für das neue Flugverfahren sein kann“, heißt es in dem Text. Laut Fachanwalt sei es rechtswidrig, die neue Flugroute durch Rechtsverordnung festzusetzen, ohne die betroffenen Gemeinden zu beteiligen. Außerdem seien die Auswirkungen auf Natur und Umwelt nie geprüft worden.